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Kultur

Dörfer über den Wolken: Ausflugsziele in Istrien

Hinter der Küste beginnt ein anderes Istrien: Uralte Örtchen haben sich hier in Künstlerkolonien und kulinarische Paradiese verwandelt. Mittendrin liegt Hum, die selbst ernannte kleinste Stadt der Welt. Ein Roadtrip ins Hinterland der Halbinsel.

Datum 19.02.2021

Künstler über den Wolken

Hinter mir erwacht langsam Grožnjan. Der Hügel des Mirnatals, wirkt fast als habe jemand einen Filter darübergelegt. "Dieses Licht", erzählt mir später der Maler Marko Brajkovic, "hat mich magisch angezogen." Und nicht nur ihn. 

Grožnjan, ist ein Dorf auf einem steilen Hügel, mehr als 200 Meter über dem Mirnatal. Die Gassen sind voller Ateliers und Galerien, in denen gemalt, geformt und getöpfert wird.

Die meisten Künstlerinnen und Künstler verkaufen ihre Werke direkt im Ort. Marko Brajkovic verschickt seine an Kunden auf der ganzen Welt. Es sind Rückkehrer wie er, die dieser Gegend ein neues Gesicht gegeben haben, Menschen, die in der Fremde Erfahrungen sammelten und diese nun hier weitergeben.

Musik bringt zusammen

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Meine Route führt mich von Grožnjan durch das Mirnatal und dann weiter nach Süden bis Labin. Marko ist in Jugoslawien aufgewachsen, als Kroate im heute serbischen Novi Sad. Als der Staat zerbrach, zog er nach Deutschland. 20 Jahre hat er dort verbracht, nun kam er wieder zurück. 

"Lange Zeit existierte Istriens Hinterland nur unbeachtet im Schatten der Küste. Dabei hat es so viel zu bieten", sagte Marko. Er führt mich zu dem Haus, in dem Marina Abramovic lebte, und vorbei an der Kapelle der Heiligen Kosmas und Damian mit ihrer modernen Wandmalerei vorbei.

Klavierklänge wehen über die Straße. Marko steuert auf eine Tür zu, tritt ein. "Maestro", begrüßt er den Mann, der am Klavier Sonaten von Haydn spielt. Es ist Tonči Bilic, Dirigent und Leiter der Kroatischen Musikjugend, die hier ein internationales Kulturzentrum betreibt. Auch die Musik zählt zu den Künsten, die das Dorf beleben.

Eine vielfältige Kultur und dieser Erde verbundene Menschen machen diese Region aus
Marko Brajkovic

"Istrien und besonders Grožnjan haben eine ganz besondere Atmosphäre. Nach dem Zweiten Weltkrieg verließen viele Menschen die Halbinsel. Die Kunst und die Musik haben sie zurückgebracht." sagte er. Im Herzen Istriens reihen sich pittoreske Dörfer und Städtchen aneinander. Ich habe Marko noch gefragt, was diese Gegend für ihn so besonders macht: "Eine vielfältige Kultur und dieser Erde verbundene Menschen machen diese Region aus", war seine Antwort.

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Motovun und Buzet: Cities of Truffles

Mein nächster Halt ist das nahe gelegene Motovun, das auf einem isolierten Hügelliegt. Die Häuser der Vorstadt wurden an seinen Hängen errichtet. Darüber thront die Kirche St. Stephan, erbaut im 17. Jahrhundert. Hier legte der wohl berühmteste Sohn des Ortes den Grundstein für seine späteren Erfolge: Der Formel-1-Weltmeister Mario Andretti, der mit seinem Zwillingsbruder Aldo in Seifenkisten um die Wette über das Kopfsteinpflaster schoss.

Das jedenfalls, so sagen heute die Älteren, hätten ihnen früher die Älteren erzählt. Bereits 1948 zogen die Andrettis fort. Heute wären Seifenkistenrennen in den engen Gassen von Motovun nicht mehr möglich, denn diese sind im Sommer voll mit Besuchern, die die Spezialität der Region kaufen wollen: Trüffel. 

Klaudio Ivašic serviert sie kunstvoll in seiner "Konoba Mondo" unmittelbar vor dem ersten Stadttor und kurz dahinter in der "Montona Gallery". Aus aller Welt kommen Touristen in den letzten Jahren wegen der Trüffel. Er hatte schon Gäste aus den USA, sogar Google-Gründer Larry Page hat schon bei ihm diniert. Die Hauptstadt der knolligen Pilze liegt nur 20 Kilometer flussaufwärts. Buzet nennt sich ganz offiziell "City of Truffles".

Hum: Die kleinste Stadt der Welt

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Dann liegt sie auf einmal vor mir: die selbst erklärte kleinste Stadt der Welt, Partnerstadt von Shanghai, in drei Buchstaben gegossene Metropole im Taschenformat – Hum. 28 Menschen leben hier auf der Fläche eines halben Fußballfeldes. 

Riesen, so sagt die Legende, haben die Städte im Mirnatal gebaut. Am Ende hatten sie nur ein paar Brocken übrig. Die reichten gerade noch für Hum. Seit dem Mittelalter besitzt dieser Fleck das Stadtrecht. Eine geschlossene Stadtmauer und eine Kirche mit Turm – das waren die bescheidenen Anforderungen. Sie gelten bis heute.

Bürgermeister Aleksandar Merlak empfängt mich auf der Terrasse seiner Konoba. Von dort hat man einen weiten Blick über das Tal. Irgendwo dort unten tröpfelt die Mirna aus den Felsen der Hügel. Am Vortag war er Jurymitglied bei der Wahl zum besten Biska Istriens. Das ist ein Mistelschnaps aus der Region, auf den sie hier sehr stolz sind. Normalerweise wird der Wettbewerb begleitet von ausschweifenden Festivitäten, zu denen Besucher von überall kommen. Doch was ist schon normal in Zeiten der Pandemie? 

Baby-Boom in Hum?

© Stefano Scatà

Den neuen Erdenbürger, der sich in Hum kürzlich per Ultraschall für diesen Frühling angekündigt hat, werden sie freudig empfangen. Denn der Status als kleinste Stadt der Welt ist nicht bedroht. Der Vorsprung vor der zweitkleinsten ist riesig. Babys sind selten in Hum, sechs Kinder leben derzeit hier. Vier von ihnen sind 2014 geboren, im fruchtbarsten Jahr der Geschichte Hums

Auch Merlak war in seinem Geburtsjahr 1977 eine echte Sensation – das erste Baby seit 16 Jahren. Solche Skurrilitäten haben die Stadt für Touristen interessant gemacht. Sie kennen hier Sommer mit mehr als 500 Besuchern pro Tag. Und dann hat das Hinterland auch noch eine ganz andere, im wahrsten Sinn tiefgründige Seite. 

Der Bergbau hat die Gegend geprägt, Zentrum der Kumpel und Zechen war lange Labin im Süden der Halbinsel. Vor 400 Jahren wurde hier erstmals Kohle gefördert. Im 19. Jahrhundert setzte dann ein regelrechter Boom ein, durch den sich die Zahl der Einwohner vervielfacht hat. Heute zeugt nur noch der Förderturm am Fuß der Altstadt von der Vergangenheit als Kohlerevier. 

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Raša: Letzte Station der Rundreise

Fünf Kilometer weiter in Raša ist hingegen noch vieles so wie zur Zeit des Kohleabbaus. Hier ließ Benito Mussolini Mitte der Dreißiger ein ganzes Dorf für Istriens Bergarbeiter errichten. Sretno – Glückauf! – steht am Bogen über dem Ortseingang. Für die Siedlung entwarf der Architekt Gustavo Pulitzer Finali in drei Reihen jeweils Doppelhäuser, in denen die Kumpel und ihre Familien lebten. Dazu 

  • ein Gemeindeamt,
  • eine Schule,
  • ein Krankenhaus
  • und Sportanlagen.

Auch das Seelenheil kam nicht zu kurz: Die Barbarakirche in Form einer auf dem Kopf stehenden Lore zieht heute noch alle Blicke auf sich. 

Meine Rundtour nähert sich dem Ende, zurück in Grožnjan treffe ich vor meiner Rückreise noch einmal Marko. Er führt mich durch sein Atelier. An den Wänden lehnen zahllose Bilder, auf denen er das Licht Nordistriens eingefangen hat. Zwischen mythischen Gestalten und griechischen Sagenhelden schaut immer wieder auch seine Frau Susanna aus den Szenarien seiner gemalten Geschichten. Sie ist, das spürt man bei jedem seiner Sätze über sie, ein Anker in seinem Leben. Ein anderer ist das Hinterland. "Wenn alles kaputt geht, habe ich immer noch Istrien", sagt er. "Die Landschaft, das Licht und seine Menschen. Es sind keine Schwätzer. Es kostet Zeit, von ihnen aufgenommen zu werden. Aber wenn sie es tun, ist es für immer."

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