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Genuss

Weine aus der Pfalz

Reisebericht Rheinland-Pfalz: Beim Pfalzwein galt früher Masse als Klasse. Mit frischen Ideen haben Winzer nun den Neuanfang in Anbaugebiet Pfalz gewagt.

Text Anja Haegele
Datum 08.12.2020

"Ein Wein ist für mich wie ein Mosaik", sagt Volker Knipser. "Ein Mosaik aus Boden, Hangneigung, Lage, Rebe, Wetter, Rebenpflege, Ertragskorrektur, Pflanzenschutz und der Arbeit im Keller. All diese Steinchen geben einem Wein seinen Charakter. Und dazu kommt ein großer Stein Glück." Der 47 Jahre alte Winzer mit dem schon schütteren schwarzen Haar macht eine Pause, so als müsse er in seinem Kopf ein wenig aufräumen. Dann nickt er, "ja, Glück braucht man auf jeden Fall auch!"

Und Volker Knipser aus Laumersheim hat Glück gehabt. Gemeinsam mit seinem Bruder Werner übernahm er Ende der siebziger Jahre das väterliche Weingut. Die beiden jungen Männer machten so ziemlich alles anders, als es bisher gelaufen war - und als es auf anderen Weingütern der Pfalz noch mindestens 15 Jahre laufen sollte: pflanzten Rot- statt Weißwein, erzogen ihre Reben so, dass nicht möglichst viele, sondern möglichst gute Trauben an ihnen wuchsen. Verwendeten Holzfässer, wo doch gerade all die anderen Winzer auf Edelstahl umgestellt hatten. Und nahmen es mit dem Unkrautjäten im Weinberg nicht allzu genau. "Wir waren alles andere als ein vorbildlicher Betrieb", erzählt Knipser schelmisch, noch heute freut er sich darüber, all den Weinautoritäten damals ein Schnippchen geschlagen zu haben und heute zur deutschen Spitze zu gehören. Nicht dennoch, sondern deshalb!

Die Brüder Knipser waren Pioniere. Mit ihnen begann das Pfälzer Weinwunder, der Aufstieg der Pfalz zum international be- und geachteten Weinbaugebiet - das sie ihres milden Klimas wegen schon lange hätte sein können. Doch das inspiriert die Winzer erst seit ein paar Jahren zu Klasseweinen.

Davor ging es den meisten eher um Masse - billige Schoppenweine, gern so lieblich ausgebaut, dass einem heute noch beim bloßen Gedanken daran der Mund zusammenpappt. Den Landkreis Südliche Weinstraße nannte man verächtlich "Süßliche". Das hat sich geändert. Zwar ist die anderswo verpönte Literflasche hier, wo viele Güter nach wie vor vom Ab-Hof-Verkauf leben, noch sehr gebräuchlich - aber längst wird auch darin trockene Qualität abgefüllt. Und dennoch lag die Südpfalz lange (und heute immer noch ein wenig) im Schatten der alteingesessenen, großen Weingüter zwischen Neustadt und Bad Dürkheim an der Mittelhaardt.

Beide Regionen bilden zusammen Deutschlands zweitgrößtes Weinbaugebiet, 23.380 Hektar Anbaufläche, mehr als hundert Millionen Rebstöcke, aus denen 3600 Winzerbetriebe im Jahr durchschnittlich 2,5 Millionen Hektoliter Wein keltern. Diese Zahlen und vieles mehr lernt, wer ein Weinseminar bei Matthias Mangold aus Venningen bucht. Der 46-jährige Wahl-Pfälzer führt seine Gäste zu den interessantesten Winzern der Region, erklärt, wie im Keller gearbeitet wird, und hilft bei der Verkostung: Schmeckt der Weiße eher frisch nach Zitrusfrüchten oder opulent nach Banane und Dörrobst? Und der Rote? Sind das rote Beeren, grüne Paprika oder Schokoladearomen im Glas?

Nach einem Picknick im Weinberg führen Mangolds Touren meist zum Rebenlehrpfad des Instituts für Rebenzüchtung am Geilweilerhof in Siebeldingen. Hinter den ehrwürdigen Mauern des ehemaligen Gutshofes, der erstmals im 12. Jahrhundert schriftlich erwähnt wurde, verbirgt sich ein hochmodernes Labor. Züchtung und Erforschung neuer, wohlschmeckender und dabei schädlingsresistenter und den Umweltbelastungen gewachsener Reben ist die Hauptaufgabe des Instituts. Denn neben Reblaus und Mehltau ist vor allem der Klimawandel für den deutschen Weinbau ein Problem: Immer heißere Sommer schaden den heimischen Sorten. Gegenüber den Durchschnittswerten des 20. Jahrhunderts stieg im vergangenen Jahrzehnt die Temperatur in der Pfalz von 10,1 auf 11,2 Grad Celsius und die Sonnenscheindauer von 1719 auf 1961 Stunden. Hitze plus UV-Strahlung verursachen Sonnenbrand: Pralle, grüne Trauben schrumpeln zu braunen, eingefallenen Beeren. Und auf Dauer, so schätzen die Experten, werden die hohen Temperaturen der feinen Säure von Riesling, Silvaner und Spätburgunder schaden. Dagegen beweisen Rotwein-Versuche wie die der Brüder Knipser, dass Cabernet Sauvignon, Syrah und Merlot in der Pfalz vortrefflich reifen - obwohl sie aus viel heißeren Gegenden stammen.

1988, als die Knipsers heimlich die ersten exotischen Reben zwischen ihren Spätburgunder pflanzten, weil sie nicht umständlich ein Versuchsfeld beantragen wollten, "waren wir alles andere als sicher, ob die Trauben hier überhaupt reif werden", erzählt Volker Knipser. Noch immer ist er stolz darauf, es als Erster versucht zu haben, lobt die "weichen Tannine" und die "phantastische Fruchtigkeit", die die mediterranen Roten in den kühlen Nächten der Pfalz bekommen. Nur der Syrah macht ihm Kummer, denn der verträgt den winterlichen Frost nicht gut.

Vielleicht ist das schon bald ein Fall für die Experten vom Geilweilerhof, so wie dort längst nach Wegen geforscht wird, eines Tages sonnenbrandresistente Riesling-Reben entwickeln zu können. 500 bis 700 verschiedene Weine werden im Keller der dortigen Labors jedes Jahr gekeltert, oft sind es nur wenige Liter, so viel eben, wie eine einzige, noch junge Rebe trägt. Denn wenn aus vielen hundert Sämlingen eine Sorte gefunden wurde, die resistent ist gegen Sonnenlicht, Mehltau oder Reblaus - dann ist ja noch längst nicht sicher, ob der Wein, den man daraus keltern kann, auch schmeckt. Der ganze Stolz des Instituts ist die rote Sorte "Regent". 1995 kam sie auf den Markt und wird mittlerweile auf 2200 Hektar deutschen Weinbergen angebaut.

Der Charakter der Winzer prägt auch ihren Wein

Der "Dornfelder", den viele für einen typisch pfälzischen neuen Rotwein halten, stammt aus der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt im württembergischen Weinsberg. Er wächst auch auf den Weinbergen von Tina Pfaffmann. Die 30-Jährige aus Frankweiler nahe dem Geilweilerhof gilt vielen als das Fräuleinwunder des deutschen Weins. Das mag daran liegen, dass sie blond ist, sehr blond, groß und schlank, die grünbraunen Augen von einem Kranz dichter, schwarzer Wimpern umrahmt. Eine Frau, die man nicht vergisst. Sie weiß das und vermarktet ihre hochgelobten Weine ganz ungeniert mit ihrer Person. Und sagt trotzdem, sie fände es "fast schade, dass Winzer ein Beruf geworden ist, der als glamourös gilt". Das liegt auch daran, glaubt sie, dass die Leute nicht sehen, wie hart die Arbeit wirklich ist. Dass sie schon Anfang Mai im "Wingert" steht, wie sie in ihrem breiten, sehr weichen Pfälzisch sagt, und mit ihren Arbeitern das erste Mal die Reben ausdünnt. Dass von Hand gelesen und nachsortiert wird, und dass sie danach abends und nachts im Keller steht und höchstpersönlich die Gärung ihrer Weine beobachtet.

Bevor Tina Pfaffmann Anfang dieses Jahrzehnts das Kommando im väterlichen Gut übernahm, war dort lange nicht mehr investiert worden. Der Vater, der seit 1970 Fassweine produzierte, hatte nicht daran geglaubt, dass eine der Töchter den Betrieb übernehmen würde. Obwohl Tina sagt, sie habe "schon als Mädel gewusst, dass ich genau das machen will". Mit 16 Jahren begann sie eine Winzerlehre. "Es war ganz schön schwierig, da als Mädel einen Platz zu finden", erzählt sie. An eine Weinbauschule hat sie sich erst gar nicht getraut, "damals dachte man noch, Frauen könnten das schon rein körperlich gar nicht schaffen". Nach ein paar Umwegen, die bis nach Australien führten, hat sie es dann doch geschafft. Sehr entschieden erläutert sie ihre Linie: "Das bin ich" oder "Das bin ich nicht" sind die zwei Sätze, die sie am häufigsten benutzt.

Der Betrieb, 15 Hektar nur groß, soll nicht wachsen: "Ich will kein Massenprodukt. Das bin ich nicht. Ich will meinen Charakter in meine Weine legen. Ich will Qualität. Und ich weiß, dass Qualität von Qual kommt", sagt sie und lacht. "Das bin ich halt." Sie mag das Extreme, ihr Muskateller zum Beispiel, der 2005 mit null Gramm Restzucker der trockenste Wein im Sortiment war, hatte ein Jahr später 22 Gramm Restzucker pro Liter. "Ich will jedes Jahr neu entscheiden, wie ein Wein wird. Das ist meine Handschrift. Das bin ich." Man glaubt ihr aufs Wort - und denkt an den anderen Pfälzer, der es vorgemacht hat, dass Handschrift beim Wein alles sein kann.

Auch Markus Schneider hat mit einem heruntergekommenen Weingut angefangen, das sein Vater in Ellerstadt günstig aufgekauft hatte. Schneider wollte den Erfolg mehr als jeder andere und gibt heute, 14 Jahre später, zu, dass "mein Selbstbewusstsein riesengroß, vielleicht zu groß war". Doch Schneider hat den märchenhaften Aufstieg vom Nobody zum Kultwinzer geschafft: Seine 360.000 Flaschen sind jedes Jahr ausverkauft und werden von den Fachblättern in höchsten Tönen gelobt. Sein Marketing-Konzept mit selbstentworfenen, stark grafisch geprägten Etiketten in Schwarz und Cremefarben wird inzwischen weitläufig kopiert.

Und am Ortsrand von Ellerstadt hat er im Mai 2008 einen hundert Meter langen, neun Meter hohen, granitschwarz gestrichenen Kubus eingeweiht: die neue Kellerei Schneider, Baukosten zwei Millionen Euro. Sie begründete in Deutschland den Trend zu architektonisch aufwendigen Kellereien, die anderswo längst an der Tagesordnung sind. Markus Schneider, ein riesiger, breitschultrig, molliger 32-jähriger Junge in Baggerfahrerschuhen und Arbeiterhemd, mit Händen wie Schaufeln und schwarzen Strubbelhaaren, hat seinen Beruf im Wachenheimer Weingut "Dr. Bürklin-Wolf" gelernt: "450 Jahre Tradition, da kennt meine Bewunderung keine Grenzen", sagt er. Dort erkannte er schnell, dass er als Quereinsteiger nur Erfolg haben könnte, wenn er alles anders machen würde. "Ich hatte kein Wappen und kein Gutshaus - ich musste meine eigene Marke werden."

Das hat er geschafft, mit günstigen, sortenreinen Weinen und oft prämierten Cuvées wie dem "Black Print", einem schweren Roten, der sein Aushängeschild wurde. Diesen Wein, ab Hof 12,50 Euro die Flasche, bei einem Händler zu kaufen, ist gar nicht einfach. Die Fans bestellen ihn vor, Weinhändler reißen sich die Kartons aus den Händen. Mit dem Preis hochgehen? Will Markus Schneider nicht. "Warum? Es reicht uns ja. Alle, die zu viel Geld für ihre Weine wollten, sind gescheitert. Ich glaube, dass wir mit Bescheidenheit gut fahren. Und mit ein bisschen Demut. Ich will nicht so enden wie mein Fußballverein: Der hat vor fünf Jahren noch in der Champions League gespielt. Und ist jetzt bankrott. Ich habe mehr Geld auf dem Konto als der FCK. Warum also sollte ich die Preise hochziehen?"

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