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Workation und Work-Life-Balance: Digitale Nomad:innen setzen Trends

Heute noch in Deutschland, morgen schon in Kapstadt oder Vancouver: Digitale Nomad:innen haben ihr Büro immer im Gepäck. Sie reisen der Sonne nach oder folgen ganz ihrem Bauchgefühl auf der Suche nach dem besten Ort zum Leben und Arbeiten. Was es mit dem Trend des digitalen Nomadentums auf sich hat, lesen Sie hier.

Datum 14.12.2022

Arbeiten an den schönsten Orten der Welt, quasi das Angenehme mit dem Notwendigen verbinden: Diesen Lebensstil pflegen „digitale Nomad:innen“. Dabei wird der Lebens- und Arbeitsmittelpunkt auf oft unbestimmte Zeit in ein anderes Land oder auf einen anderen Kontinent verlegt. Einige Befürworter:innen dieses Trends reisen der Sonne nach und verbringen den Winter in warmen Ländern, während sie im Sommer in ihrer Heimat leben und arbeiten. Andere suchen sich immer wieder ein neues Fleckchen Erde, das es zu erkunden gilt. Durch die hohe Flexibilität stellt sich eine ausgesprochen gute Work-Life-Balance ein, weil Arbeit mit Reisen verbunden werden kann. Welche Vorteile der Trend des digitalen Nomadentums noch hat und wo sich dieser Lifestyle am besten umsetzen lässt, verraten wir Ihnen hier. 

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Immer der Sonne nach: Workation nach Jahreszeiten

E-Mails beantworten, während die Hängematte in der warmen Brise schwingt. Bei einer virtuellen Konferenz die Zehen in den Sand stecken. Arbeiten aus Cafés, die Aussicht aus dem Fenster immer eine andere, mal Meer, mal Berge, mal pulsierende Großstadt. Christina Leitner reist seit elf Jahren durch die Welt, hauptsächlich mit den Jahreszeiten.

Den europäischen Winter verbringt sie oft in Kapstadt, am Südzipfel Afrikas. Zur Skisaison fliegt sie für ein paar Wochen zurück in ihre Heimat, Tirol. Der Rest des Jahres wird frei geplant. Vergangenes Jahr waren es London, New York und Sambia. Für 2023 stehen Südkorea, Thailand, Malaysia, Georgien und Mexiko-Stadt an.

Leben als digitale Nomadin

Die selbstständige Übersetzerin und Reisejournalistin arbeitet mal in Co-Working-Büros, mal in Restaurants oder Airbnbs. Ihre Klient:innen wissen eigentlich nie, wo auf der Weltkugel sie sich gerade befinde, sagt Leitner, aber das interessiere auch keinen. Die nächste Destination der 47-jährigen Österreicherin bestimmt entweder der nächste Auftrag oder ein persönliches Interesse. „Ich wähle Länder, die nicht auf jedermanns Liste stehen, wo es noch ein bisschen abenteuerlich ist und wo ich einen Mehrwert habe, entweder sprachlich oder kulturell“, sagt sie. In Mexiko-Stadt belege sie Spanisch-Kurse; nach Südostasien ziehe sie das Streetfood.

Mehr Möglichkeiten durch Veränderung der Arbeitswelt

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Die Corona-Pandemie hat das digitale Nomadentum von einer Randerscheinung zum Trend gemacht. Immer mehr Länder bieten Visa an, die zeitlich begrenzte Fernarbeit ermöglichen. Jüngst haben Namibia, Ecuador, Belize, Malaysia und Albanien Visa-Erleichterungen für digitale Nomad:innen eingeführt. Auch Länder in Europa wie Malta, Kroatien, Tschechien, Estland, Griechenland und Ungarn sind mit dabei.

Die Beweggründe sind vielfältig. Länder wollen Corona-bedingten Verlusten im Tourismus entgegenwirken; hybrides Arbeiten hat durch positive Erfahrungen während der Pandemie an Akzeptanz gewonnen. Manche Länder wollen Fachkräftemangel und einer überalterten Gesellschaft entgegenwirken. Kosmopolit:innen gelten längst nicht mehr als Aussteiger-Typen, sondern eher als Vorreiter:innen eines neuen Lebensstils.

Besonders beliebte Städte für Workation

Kapstadt gilt als „Digitale-Nomaden-Hauptstadt“ Afrikas. Gute Infrastruktur, schnelles Internet sowie Strände, Berge und eine preisgünstige, aber hochwertige Wein- und Esskultur sind einige der Anziehungspunkte. Auch Nairobi, die Hauptstadt von Kenia, ist bei Kosmopolit:innen auf dem Kontinent beliebt.

Wo lebt und arbeitet es sich am besten?

Herauszufinden, wo es sich am besten lebt und arbeitet, ist mittlerweile einfach. Auf zahlreichen Internet-Foren tauschen Personen, die dieses Konzept schon leben oder erleben wollen, freizügig Tipps und Erfahrungen aus. Man versteht sich als internationale Gemeinschaft. Die Firma Resume.io, die sich auf die Erstellung von Lebensläufen, besonders für Freischaffende, spezialisiert, hat knapp 90.000 Posts auf Instagram mit dem Hashtag #digitalnomad analysiert. Mehr als 57.000 kamen aus Vancouver in Kanada. Grund dafür sei vor allem die Nachbarschaftlichkeit der Einwohner:innen, so der Bericht.

Innerhalb Europas ist London die Top-Destination mit rund 47.000 Posts – weil man dort englisch spricht und die Kultur- und Unterhaltungsszene boomt. Wer am Strand arbeiten will, wählt laut der Analyse häufig die arabische Wirtschaftsmetropole Dubai oder Südostasien.

Spezielles Visum für Kosmopolit:innen

Besonders die indonesische Insel Bali mit ihrem relaxten Lifestyle und günstigen Traum-Unterkünften steht bei vielen oben auf der Wunschliste. Um mehr Ausländer:innen für längere Aufenthalte anzulocken, diskutieren die Behörden, Interessent:innen ein „digital nomad visa“ anzubieten. Seit September 2022 gibt es die Möglichkeit, mittels des „B211A Visa" sechs Monate steuerfrei auf Bali zu arbeiten.

In Lateinamerika will die argentinische Hauptstadt Buenos Aires bis 2023 rund 22.000 digitale Nomad:innen anlocken. Daher bietet Argentinien seit Mai ein spezielles Visum für sechs Monate an, das einmal verlängert werden kann. „Eine Stadt entwickelt sich besser, wenn sie mit der Welt verbunden ist“, sagt Bürgermeister Horacio Rodríguez Larreta.

In Spanien stimmt das Parlament gerade über ein neues Gesetz ab, das ein spezielles Visum für digitale Nomad:innen mit einer Dauer von bis zu fünf Jahren vorsieht. Und in Portugal gibt es seit dem 30. Oktober 2022 ein neues Visum, mit dem Ausländer:innen bis zu ein Jahr in Portugal arbeiten können. Auch Italien will ein Gesetz anpassen, um qualifizierten Arbeitskräften das Leben als digitale Nomad:innen zu ermöglichen und damit gut ausgebildete Fachkräfte anzulocken. Die Hoffnung ist, dass diese Menschen irgendwann auch für italienische Firmen arbeiten oder verwaiste Dörfer wiederbeleben.

„Workation“: Was bedeutet das?

Es muss nicht immer die weite Ferne sein. Gerade für digitale Neulinge ist eine kürzere „Workation“ attraktiv, ein Mix aus Arbeit und Urlaub. Man verlegt den Arbeitsplatz buchstäblich für ein paar Wochen an einen Urlaubsort, mit dem Verständnis des Arbeitgebers, dass es im Arbeitsverhältnis in erster Linie um Produktivität geht, nicht um das Absitzen von Bürostunden.

In Valencia, im sonnigen Osten Spaniens, arbeitet der 25-Jährige Moritz* aus Ravensburg für einen US-amerikanischen PC- und Druckerhersteller. Er hat sich beim Co-Living-Unternehmen „Cotown“ eingemietet, wo nach Angaben der Geschäftsführerin Vanesa Esteban Menschen aus 30 verschiedenen Ländern leben und arbeiten. Co-Living und -Working ist ein neues Konzept, das größtenteils aus dem digitalen Nomadentum entstanden ist und vor allem in Städten mit hohen Lebenshaltungskosten rasant Fuß fasst.

Gründe für Workation und Dauer-Reisen

Selbst nach drei Jahren in Valencia fühle er sich wie auf Dauerurlaub, erzählt Moritz*, der mittlerweile fließend Spanisch und Englisch spricht. Sein Antrieb für ein Leben als digitaler Nomade seien Fernweh, Rastlosigkeit, Sinnsuche, berufliche Freiheit und Work-Life-Balance gewesen, aber auch der Drang, immer wieder neue Menschen kennenzulernen und neue Erfahrungen zu machen.

Digitale Nomad:innen berichten

Den Österreicher Sami Demirel hat es in die Türkei verschlagen. Vor einem Jahr hat der 30-Jährige Freelancer sein Leben in Berlin aufgegeben und sich für den Winter in einer Hütte in den Bergen von Antalya am Mittelmeer eingemietet. Zuvor war er in Aserbaidschan, als nächstes steht Georgien auf dem Programm. Demirel arbeitet im Online-Marketing, seine Auftraggeber:innen sitzen in Deutschland. In der Türkei bekomme er mehr für sein Geld, sagt Demirel. Was er in Antalya für eine ganze Wohnung zahlt, würde in Berlin ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft kosten. „Statt einen Döner auf die Hand kann ich hier in ein nettes Restaurant gehen.“ Er genießt die „Freiheit und Unabhängigkeit“ als Digitalnomade, nur die Einsamkeit nage ein bisschen an ihm.

Ein Leben an einem festen Ort könne sie sich nicht mehr vorstellen, sagt auch Christina Leitner: „Ich will den internationalen Aspekt nicht mehr missen.“ Dafür ist sie bereit, Komforts aufzugeben, wie eine Alltagsroutine oder eigene Möbel. „Eigentlich passt mein ganzes Leben in einen Koffer. Man braucht nicht mehr. Alles andere ist überflüssiger Ballast.“

*Name wurde von der Redaktion geändert

- dpa