Mein Dresden-Drehbuch: Eine Liebeserklärung

Elbflorenz ist nur ein kleiner Teil der Stadt, gerade wegen ihrer Brüche und Narben hat Tinka Dippel sie in ihr Herz geschlossen. Es folgt eine Stadtführung mit harten Programmwechseln.
 
Text Tinka Dippel
Datum14.11.2025

Wie Bienen an ihren Honigwaben klebten die feiernden, schwarz-gelben Dynamo-Fans an den Kiosken rund um den Hauptbahnhof, als ich das letzte Mal in Dresden ankam. Es ging mal wieder aufwärts, von der dritten in die zweite Fußball-Bundesliga, zum fünften Mal innerhalb der letzten 20 Jahre. So viel Auf und Ab, dachte ich. Leidgeprüfte Fans in einer leidgeprüften Stadt. Eine von Bier geschwängerte, leicht grölige Partystimmung hing über Dresden. Und dieses Dresden ist hier rund um den Hauptbahnhof nicht Elbflorenz, es ist Beton, Verkehr und Kettenläden. 

In mir breitete sich ein vertrautes Gefühl aus: ein freudiges Angekommensein, gepaart mit leicht trotzigem Herzklopfen. Es ist eine große Liebe, die ich für diese Stadt empfinde, vielleicht sogar daran gewachsen, dass sie eine Trotzdem-Liebe ist, auch immer mal wieder gegen Widerstände ankämpfen musste, gegen Seiten dieser Stadt, die ich nicht so wirklich verstehe. Aber sie hat nie aufgehört, seit ich vor 23 Jahren für die Sächsische Zeitung zum ersten Mal hierherkam.

„Schwer vorstellbar, dass vieles von dieser Kulisse bis zur Wende Brache und Ruine war.”

Berühmtheiten im besten Licht: die Kuppeln des Lipsiusbaus und der Frauenkirche.

Dresden hat jede Menge Einmaliges, sehr viel, was andere Städte nicht haben. Zum Beispiel die Prager Straße, die direkt gegenüber vom Hauptbahnhof beginnt, eigentlich ein breiter Boulevard ist und schnurgerade ins Zentrum führt. Vielen ist sie eher ein Dorn im Auge, hier war die einstige Pracht nach Dresdens Bomben-Inferno im Februar 1945 komplett weggebombt – und wurde ersetzt durch einen städtebaulichen Beton-Pragmatismus, den man sich in Städten wie Rotterdam und BrasÍlia abschaute. Hoch bauen, Freiräume schaffen, mir gefällt das irgendwie, für mich ist die Prager Straße eine einzigartige Shoppingmeile. „Türkisch, Spanisch, Englisch, welche Sprache soll es sein?“, fragte der junge, von gut gelaunter Musik umwaberte Mann im Eisstand an der Fußgängerzone, von dem ich eigentlich nur ein von mir heiß geliebtes DDR-Softeis wollte, der mir aber wohl dazu noch eine Portion Weltoffenheit mitgeben wollte, die Dresden so oft abgesprochen wird.

Mein von Geschmacksverstärkern getuntes Softeis genießend, schlenderte ich durch diese helle, weite Plattenbau-Schlucht nach Norden, über den Altmarkt und mitten hinein ins Elbflorenz. Dieser Weg ist wie das Fernsehprogramm wechseln, ein harter Bruch, solche plötzlichen Programmwechsel kann Dresden sehr gut. Klar gibt es Brüche auch in anderen Städten, aber die von Dresden sind in ihrer Plötzlichkeit und Radikalität schon besonders. Der Abend legte sich über die Stadt und mit ihm ein Licht, das jene Substanz zum Leuchten bringt, aus der Dresdens Berühmtheiten gemacht sind: die Semperoper, die Hofkirche, der Zwinger, die Frauenkirche, das Residenzschloss. Sie alle sind aus jenem Sandstein, von dem es im nahen Elbsandsteingebirge reichlich gibt und der in der Abendsonne wirkt, als würde er von innen leuchten. 

Für mich hat es was vollkommen Magisches, in der letzten müden Sonne des Tages die Treppe zur Brühlschen Terrasse rauf- und runterzulaufen, während die Schatten immer länger und die Lichtbündel immer goldener werden. Schwer vorstellbar, dass vieles von dieser Kulisse bis zur Wende Brache und Ruine war. Diese ganzen Schönheiten sind Wiederauferstandene, so wie die gesamte Stadt. 

„Ich mag Dresden, gerade weil die Stadt nicht immer gefällig ist.”

Goldstücke: die Fassaden der Neustadt, hier in der Kunsthofpassage.

Wenn eine Auf und Ab kann, dann Dresden. Und doch möchte ich diese Stadt manchmal schütteln, weil sie von einem ewigen Komplex geplagt wird, der mir von Anfang an manchmal auf die Nerven gegangen ist, einem Abseits-Gefühl. Dabei wird Dresden, je grenzenloser das Denken, umso interessanter – ich sag nur: wenig mehr als zwei Zugstunden nach Prag. Aber ja, es stimmt schon, Dresdens Bahnanbindung innerhalb Deutschlands wird dieser sächsischen Landeshauptstadt nicht im Mindesten gerecht. 

Und dann noch diese coole, progressive Schwester! Leipzig ist bekannt für seine Kneipen- und Kunstszene, die Top-Anbindung an Berlin und zunehmende Berlinisierung, die historische Bedeutung als Messestadt und Hotspot der friedlichen Revolution 1989. Leipzig zu mögen ist quasi common sense. Aber ich mag Dresden, gerade weil die Stadt nicht immer gefällig ist.

„Neben meiner Liebe ist der Stadt auch die von Roland Kaiser sicher"

Dresden kann Weite: Blick über die Elbauen mit dem Schloss Albrechtsberg und der Brücke Blaues Wunder

Und neben meiner Liebe ist der Stadt auch die von Roland Kaiser sicher. Programmwechsel, wir gehen über die Elbe, das ist im Gegensatz zur Hamburg-Elbe an mehreren Stellen problemlos möglich, obwohl die Carolabrücke sich letztes Jahr über Nacht in den Fluss verabschiedet hat. Und dann stehen wir auf einer der anderen Brücken – August-, Marien- oder Albertbrücke – und blicken in die Elbauen, die den Fluss hier grandios in Szene setzen. Dort liegt das schönste Open-Air-Kino, das ich kenne, wo der Blick gleichzeitig auf die Leinwand und die Altstadt dahinter fällt. Und nein, man kann sich an diesem Canaletto-Blick nicht sattsehen. Als ich das letzte Mal übers Wochenende da war, gab es allerdings keine „Filmnächte am Elbufer“, sondern drei Roland-Kaiser-Konzerte an drei Abenden hintereinander. Die Kaisermania war ausgebrochen, noch so etwas, das es in dieser Form garantiert nur hier gibt. Selbst wenn ich ein Ticket gewollt hätte – keine Chance.

Der Schlagerstar und die Stadt sind regelrecht vernarrt ineinander, er hat ihr einen Song namens „Affäre“ gewidmet und sie mal „kulturschwanger“ genannt. Und das ist eine gnadenlose Untertreibung, da haben August der Starke und in Dresden Allgegenwärtige und viele andere ganze Arbeit geleistet. Die Alten und die Neuen Meister und das Grüne Gewölbe sind nur die ganz offensichtlichen unter den umwerfenden Museen. Meine Favorites: das Hygienemuseum. Und das Militärhistorische Museum. Im Ernst? Ja, denn Panzer und Waffen spielen da eher eine Nebenrolle. Es geht zum Beispiel um Kunst, um Spielzeug, um Tiere und Propaganda im Krieg. 

Würde die Stadt sich doch nur trauen, ihre Themenbandbreite öfter mit einem solchen Selbstbewusstsein und einer solchen Souveränität auszuspielen wie dort! Und ja, es gibt hier auch Subkultur, vor allem in der Neustadt natürlich, dem einst rebellischen und heute lebendigsten Viertel der Stadt. Wieder ein komplett anderes Programm. Kleinteilig ist es, bunt, hinterhofig, hip, secondhand, multikulti, jung, arty und Party. Meine Lieblingsorte dort sind zwei Klassiker: der grüne Hof des Raskolnikoff, eine Mischung aus Bar, Kunstort und Restaurant. Und die Combo-Bar mitten auf der Louisenstraße. Ah, nicht zu vergessen die Musikkneipen Hebeda’s und Blue Note!

„Glücklich, wer immer wieder nach Dresden zurückkommt.”

Auch die Hofkirche und die Semperoper leuchten am Abend im besten Licht.

Zappen wir uns doch noch ein bisschen weiter durch die Dresden-Programme: Es wird wohnlich im Hechtviertel, wo noch eine meiner Lieblingskneipen liegt, die Sankt Pauli heißt, aber nicht nach dem Fußball-Darling, sondern nach einer Kirchenruine benannt ist. Es wird grün in Hellerau, Deutschlands erster Gartenstadt, ausgestattet mit einem progressiven Festspielhaus. Es bleibt grün in Loschwitz und Blasewitz, zwei Villenvierteln, natürlich verbunden durch eine Brücke, das berühmte Blaue Wunder – an der ein schöner Biergarten liegt, der Schillergarten. 

Und dann hat Dresden noch ein paar mehr Programme, in die man sich per Fahrrad, Bahn oder Elbeschiff zappen kann: Park und Schloss Moritzburg im Norden, das Erzgebirge im Süden, das Elbsandsteingebirge mit seinen Tafelbergen im Osten, die Weinberge von Meißen und Radebeul im Westen. Wenn da im Herbst leichter Nebel über den Rebhängen liegt, Zwiebelkuchenduft und warmes Licht aus den Straußwirtschaften dringen, dann kriegt meine Liebe noch mal einen satten Booster.

Insgesamt habe ich ein knappes Jahr meines Lebens in Dresden verbracht, nicht am Stück, sondern verteilt über mehr als zwei Dekaden. Warum ich nicht einfach irgendwann geblieben bin? Das hat viele Gründe, die vor allem beruflich und privat sind. Außerdem hat Roland Kaiser es mir ja vorgelebt: Glücklich, wer immer wieder nach Dresden zurückkommt. Auch wenn man oft in Leipzig umsteigen muss.