© N. Hellfritzsch/Vereinigte Domstifter
Kultur

Sachsen-Anhalt: Vom Grand Canyon bis zum Gartenreich

Harz, Naumburg, Dessau, dazu der gute Wein an Saale und Unstrut: Drei Tage braucht man mindestens, um Sachsen-Anhalts feinen Mix aus Natur und Kultur auszukosten. Tipps von MERIAN-Autorin Doreen Reinhard.

Datum 07.11.2020

FREITAG

Sachsen-Anhalt hat einen Grand Canyon. Das wussten Sie nicht? Ich gebe zu, ich habe zuerst auch nicht geglaubt, dass sich mitten im Harz eine Landschaft versteckt, die diesen Beinamen verdient. Bis zu diesem Freitag, an dem ich durch das Bodetal wandere. Mein Ausgangspunkt ist Thale, ein Städtchen am Fuße des Gebirges. Auf dem Bodetal-Rundweg geht es bis nach Treseburg und zurück, knapp 20 Kilometer mit etlichen zackigen Steigungen. Es gibt Passagen mit weiten Ausblicken und Stellen, an denen das Tal sich immer mehr verengt. Man steht in schmalen Schluchten, blickt auf bizarre Felsformationen und schroffe Geröllfelder, und in der Tiefe hört man die Bode säuseln. Pflanzen, die Schatten mögen, fühlen sich in den Schluchten wohl, auch Farne und Orchideen wachsen hier. Auf den kargen Felsen klammern sich Flechten fest, über 500 Arten kann man finden. Und es sollen noch ganz andere seltene Wesen hier zu Hause sein: Hexen, Teufel und mythische Gestalten, von denen viele Schauergeschichen handeln.

Hexentanzplatz und Rosstrappe, links und rechts auf den Bergplateaus des Tals, sind zwei Orte, an denen diese Erzählungen bis heute lebendig sind. Der Hexentanzplatz soll einst Treffpunkt für schräge Gestalten gewesen sein. Noch immer zelebriert man hier Spuk, jedes Jahr werden zur Walpurgisnacht Gruselpartys gefeiert.

Auf der gegenüberliegenden Bergkuppe erhebt sich die Rosstrappe. Auf dem Granitfelsen findet man eine Vertiefung, die einem riesigen Hufabdruck ähnelt. Die Sage nach stammt der Abdruck vom Pferd der Prinzessin Brunhilde. In die hatte sich der ungehobelte Ritter Bodo verliebt. Seine Gefühle wurden zwar nicht erwidert, doch er verfolgte die Prinzessin. Auf der Flucht gab Brunhilde ihrem Pferd die Sporen und sprang vom Felsen ab. Sie schaffte es heil auf die andere Seite, doch ihre Krone fiel in den Abgrund – und ihr Verfolger Bodo ebenfalls. Er sitzt, so heißt es, noch immer dort unten, als verwandelter, zotteliger Hund, der die Krone bewacht. Diese tiefste Stelle des Flusses heißt Kronensumpf. Mir scheint, als würde die Bode hier besonders wild schäumen.

© Georg Knoll
Für MERIAN in Sachsen-Anhalt unterwegs: Autorin Doreen Reinhard.
© Peter Hirth
Auf dem Hexentanzplatz in Thale war einst angeblich der Teufel los. Deshalb haben ihm die Harzer ein Denkmal gesetzt.
© Peter Hirth
Sachsen-Anhalts Grand Canyon: Die über 400 Meter hohe Rosstrappe fällt steil ins Bodetal. Am Horizont zieht sich der Brocken entlang.

SAMSTAG

© Walter Schmitz
Hoch über dem Saaletal, am Naumburger Bismarckturm genießt man Wein, Bier und Blick.

Mitten durch Sachsen-Anhalt führt die »Straße der Romanik«, und einer der großen Höhepunkte auf dieser Route zeigt sich schon von Weitem: Der Naumburger Dom St. Peter und St. Paul ist eines der bedeutendsten Kulturdenkmäler des Hochmittelalters und Welterbe der UNESCO. In der Stille dieser gewaltigen Kirche kann man Stunden verbringen, so viele Details sind zu entdecken, etwa bei der Darstellung der Passionsgeschichte am Westlettner. Berühmt sind die zwölf Stifterfiguren aus dem 13. Jahrhundert im Westchor, und eine von ihnen genießt sogar Weltruhm: Uta von Ballenstedt, gestaltet vom Naumburger Meister gilt als die »schönste Frau des Mittelalters«. Noch immer wird sie verehrt. Vor allem natürlich hier in Naumburg, die Stadt lädt alle zwei Jahre zu einem Uta-Treffen ein. Bisher sind über 1000 Utas aus der ganzen Welt der Einladung gefolgt. Die jüngste Uta war noch ein Baby und reiste mit ihrer Oma Uta an. Den weitesten Weg hatte eine Uta aus Jamaika.

Naumburg ist der Mittelpunkt der Saale-Unstrut-Region. Wer hier unterwegs ist, sollte genug Zeit einplanen, um durch die Natur zu streifen. Im Sommer erinnert die Landschaft an Italien, mit sanften Hügeln und Weinbergen, in denen sich Steinhäuschen und Lauben verstecken. Die Winzertradition prägt die Gegend seit jeher, heute gibt es über 60 Weingüter. Ich entscheide mich für eine Radtour an der Saale. Alternativ könnte man auch im Kanu paddeln, an den Ufern findet man viele Anlegestellen. 

Von Naumburg geht es nach Freyburg, wo man ebenfalls in Dutzenden Weingütern und Straußenwirtschaften einkehren kann. Ein paar Winzer besuche ich schon seit Jahren und freue mich, dass sich nur wenig verändert, noch immer aus der Garage heraus verkauft oder zum Umtrunk auf die eigene Gartenbank geladen wird. Zu den Klassikern gehören die Weißweine der Region, aber auch der Rote wird immer hochkarätiger, bedingt durch die steigenden Temperaturen. In Freyburg perlt es obendrein. Die Stadt ist für ihre Sekttradition bekannt, seit 1856 gibt es hier die Rotkäppchen-Kelterei. Ein bisschen Puste sollte man aufsparen, um wenigstens eine der vielen Burgen, Schlösser und Anwesen zu besichtigen, die auf den Hügeln oberhalb der Saale thronen. Wie Schloss Neuenburg bei Freyburg. Es wurde schon um 1090 erbaut und später in der Renaissance von sächsischen Kurfürsten als Jagdresidenz genutzt.

SONNTAG

© Peter Hirth
Ein Auenland als Welterbe: Auf Booten kann man romantisch durchs 142 Quadratkilometer große Gartenreich Dessau-Wörlitz gondeln.

Auf nach Dessau, die Stadt ist ein perfekter Ort, um diesen sachsen-anhaltinischen Mix aus Landschaft und Kultur zu genießen. Das große Stichwort hier: Bauhaus. Die klassische Moderne war in Dessau mit visionären Gestaltern vertreten. Größen wie Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe zogen in den 20er und 30er Jahren viele Kreative in die Stadt. Nahezu alle Bauhaus-Bauten gelten als Ikonen der Moderne. Ich mag besonders den Rundgang durch die Meisterhaus-Siedlung, weil jedes Gebäude ein Unikat ist. Sie wurden einst bewohnt von den Künstlern und ihren Familien. Wenn man durch  ihre Wohnungen läuft, ist das wie eine Zeitreise. 

Wie das Bauhaus ist auch das Gartenreich Dessau-Wörlitz Welterbe. In der grünen Weite könnte ich stundenlang herumtrödeln. Doch irgendwann steige ich aufs Rad um, um so viel wie möglich zu sehen. Der Park ist 142 Quadratkilometer groß. Begründet hat diese einmalige Kulturlandschaft im 18. Jahrhundert der junge Prinz Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau. Er war begeistert von englischen Landschaftsgestaltern, von Parks in Italien und Frankreich, unternahm Bildungsreisen in die Ferne und setzte seine mitgebrachten Ideen zu Hause um. Das Landhaus Wörlitz war der erste klassizistische Bau in Deutschland. Der Prinz wollte weg vom starren Barockgarten, hin zum Schönen, das sich mit dem Nützlichen verbindet. Ein Park sollte nicht mehr nur Anschauungsobjekt zum Lustwandeln sein, hier sollte man lernen, sogar Landwirtschaft betreiben. Das Projekt reifte über mehrere Jahrzehnte und wurde zum Gartenreich. Mehrere kleinere Gärten, die verschiedene Epochen abbilden, wurden miteinander verwoben – zu einer Art Landschafts-Enzyklopädie, die von der Antike bis zur Neuzeit reicht. Schöner kann ein Wochenende in Sachsen-Anhalt nicht enden.

Die besten Tipps für Sachsen-Anhalt

ÜBER NACHT

Als Ausgangspunkt für Wanderungen im Bodetal eignet sich »Hoffmanns Gästehaus« in Thale, mit großem Garten zum Entspannen. Im Herzen von Naumburg liegt der Gasthof Zufriedenheit. Die Zimmer sind ruhig, viele mit Blick auf den mediterran gestalteten Innenhof und historische Dachgiebel. Die Küche ist vielfach prämiert. Wer das Gartenreich Dessau-Wörlitz besucht, kommt gut im »Hotel Zum Stein« unter. Das Vier-Sterne-Haus ist nur ein paar Schritte vom Wörlitzer Park entfernt. Gekocht wird auf gehobenem Niveau mit regionalen Produkten. Zur Entspannung steht eine Wellness- und Badelandschaft bereit. 

www.thale-hotel.de

www.gasthof-zufriedenheit.de

www.hotel-zum-stein.de

ESSEN UND TRINKEN

Auf dem Harzkamm oberhalb von Thale ist der hübsche Ort Friedrichsbrunn seit Jahrzehnten ein Tipp für Naturliebhaber. Der Gasthof »Zur Unterklippe im Zentrum bietet hervorragende Hausmannskost, mit Pfiff zubereitet. Der Service ist herzlich-familiär. Die Konditorei Schoppe im Naumburger Ortsteil Bad Kösen lockt mit einer üppigen Auswahl an Torten und Gebäck, die so gut schmecken, dass man am liebsten jeden Tag Nachschub holen möchte. Das Weingut Pawis ist ein Vorzeigebetrieb der Saale-Unstrut-Region. Die vielen prämierten Weine kann man im Klostergut Zscheiplitz bei Freyburg verkosten, wo es auch hausgemachte Kleinigkeiten zum Essen gibt. 

www.zur-unterklippe.de

www.cafe-schoppe.de

www.weingut-pawis.de

ERLEBEN

An der Rappbodetalsperre spannt sich die Hängebrücke »Titan-RT« über die Bode. Die Ausblicke sind großartig, für Adrenalinkicks sorgt der »Gigaswing«, ein Pendelsprung in die Tiefe. Die Altmark im Norden Sachsen-Anhalts ist eine Hochburg der Pferdezucht. Reitfans finden hier Reiterhöfe für Übernachtungen und eines der längsten Reitroutennetze Europas. Hängebrücke 

www.titan-rt.de 

www.sternreiten-altmark.de

INFORMATIONEN

Bodetal www.bodetal.de

Saale-Unstrut-Region www.saale-unstrut-tourismus.de

Dessau www.bauhaus-dessau.de, www.gartenreich.de

Allgemein www.sachsen-anhalt-tourismus.de