747-Pilotin im Interview: „Das ist die Königsdisziplin“

Aus ihrer Lust am Reisen wuchs die Idee einer Karriere als Pilotin. Nach vielen (Flug)-Höhen und Tiefen absolvierte die gebürtige Hamburgerin Margit Sonntag 1993 ihren Abschluss bei der Lufthansa und flog fortan als eine der ersten Pilotinnen und später Kapitänin der Airline um die Welt. Musterberechtigungen erlaubten ihr zudem das Führen der zwei größten Passagierflugzeuge, der Boeing 747 und dem Airbus A 320.
Im Interview mit Merian erzählt Margit Sonntag vom Top-Gun-Fieber der 80er, davon, wie immer extremere Wetterereignisse das Fliegen verändert haben und wann es im Cockpit besonders stressig wird.
Merian: Wie sind Sie zur Luftfahrt gekommen?
Margit Sonntag: Ich war während der Schulzeit für ein Austauschjahr in Italien. Als ich zurückkam, packte mich das Fernweh und so wollte ich künftig auch beruflich in Europa unterwegs sein. Zunächst arbeitete ich in der Hotellerie und in der Touristik, doch in Hinblick auf die Arbeitsbedingungen und Perspektiven sah ich dort für mich keine Zukunft. Bei der Berufsberatung wurde mir dann erzählt, dass die Lufthansa seit kurzem erstmals auch Frauen als Pilotinnen ausbildet. Zu dem Zeitpunkt habe ich jedoch überhaupt nicht damit gerechnet, dass ich die fordernden Eignungsprüfungen bestehen würde.
Hat es dann aber doch.
Ja, ich habe den damaligen Eignungstest eigentlich mit der festen Überzeugung gemacht, dass ich sowieso nicht genommen werde. Doch auf einmal steckte ich mitten im fortgeschrittenen Bewerbungsverfahren. Die Ausbildung lief Anfang der 1990er noch anders als heute, mit einer viel geringeren Eigenbeteiligung und einer nahezu sicheren Zusage, bei der auszubildenden Fluggesellschaft übernommen zu werden.
Die Branche und Ihr direktes Arbeitsumfeld waren damals noch fast ausschließlich männlich geprägt. Wie haben Sie die Zeit während der Ausbildung erlebt?
Damals war ich eine der ersten 30 Frauen, die für die Lufthansa als Pilotin fliegen durften. Die Zeit in der Flugschule war fordernd, mit all den männlichen Flugschülern, von denen viele deutlich jünger waren, die gerade ihren Wehrdienst absolviert hatten und vom Top-Gun-Fieber infiziert waren. Ich war durch meine Hamburger Herkunft ganz anders sozialisiert und fühlte mich nicht angenommen. Das war eine komplett andere Mentalität und für mich ein ziemlicher Clash of Cultures.
Mit dem Propellerflugzeug durch Arizona

Wie verlief Ihre damalige Ausbildung?
Es gab damals abwechselnd Theorieblöcke in Deutschland und Flugstunden in den USA. Dort sind wir mit einmotorigen Propellerflugzeugen über die Wüste von Arizona geflogen. Nach den ersten Stunden saßen wir teils schon allein im Cockpit und sind cross country durch die Gegend geflogen. Das war natürlich sensationell und unglaublich aufregend. Heute findet ein viel größerer Teil der Ausbildung in Simulatoren statt.
Wie haben Sie die Flugschulzeit in den USA empfunden?
Es war eine herausfordernde Zeit, da die Übungsflüge volle Konzentration erforderten. Ich haderte damals jedoch sehr mit dem Umfeld. Zum Glück hatte ich einen strengen, aber motivierenden Fluglehrer, der mich unter seine Fittiche genommen und an mich geglaubt hat.
Ab wann duften Sie ein Passagierflugzeug führen?
Zunächst erhält man eine Privatpiloten-Lizenz und darf außerhalb des Linienverkehrs fliegen. Das ist die Grundlage für alles Weitere. Als nächsten Schritt legt man die Commercial Licence ab, die einen zum kommerziellen Führen kleinerer Maschinen berechtigt. Hier lernt man zum Beispiel auch den Instrumentenflug. Anschließend wird die Airline Transport Pilot Licence ausgestellt, die man als verantwortliche Linienflug-Pilotin benötigt. Darüber hinaus gibt es die Langstreckenflug-Berechtigung sowie die verschiedenen Musterberechtigungen, die das Führen von bestimmten Flugzeugtypen erlauben. 1993 habe ich meine Ausbildung abgeschlossen und von da an als Pilotin für die Lufthansa gearbeitet.
„Jederzeit kann etwas Außerplanmäßiges passieren“

Was hat Ihnen während Ihrer Berufslaufbahn am meisten Spaß gemacht?
Kapitänin auf der Langstrecke, das ist quasi die Königsdisziplin. Die Arbeitstage auf der Kurzstrecke sind oft sehr lang und intensiv. Auf langen Flügen hat man dann mit anderen Gegebenheiten zu tun. In meinen letzten Berufsjahren war ich als Kapitänin der Boeing 747 auf der Langstrecke unterwegs.
Wann wird es im Cockpit auch mal stressiger?
Start und Landung ist die Zeit der höchsten Konzentration. Wenn man dann noch mit Wetter und viel anderem Luftverkehr zu tun hat, steigt die Belastung. Eine weitere intensive Zeit beginnt nach der Landung am Boden. Die Passagiere steigen aus, wir schließen die Flüge, laden den nächsten Flugplan, beobachten das Wetter und treffen wichtige Entscheidungen, zum Beispiel wie viel getankt wird. Oft passiert das im regulären Betrieb alles innerhalb einer Dreiviertelstunde.
Welche unvorhergesehenen Ereignisse können passieren?
In einem Jumbo-Jet mit 400 Leuten an Bord kann jederzeit etwas Außerplanmäßiges passieren. Leider unterschätzen manche Passagiere, wie belastend das Fliegen für ihren Körper sein kann. Wir hatten daher häufig mit medizinischen Themen zu tun. Aber auch das Wetter, das in den vergangenen Jahren extremer geworden ist, erfordert viel Aufmerksamkeit.
Viel los in der Luft: Klimawandel und Flugautobahnen
Inwiefern beeinflusst der Klimawandel schon jetzt den Flugverkehr?
Um den Äquator liegt die Innertropische Konvergenzzone. Das sind große Tiefdruck- und Gewittergebiete. Früher konnte man sie gut umfliegen, manchmal sogar überfliegen. Das ist heute mit größeren Umwegen verbunden und das Überfliegen nicht mehr möglich. Auch in Europa sind Gewitter mittlerweile extremer und reichen viel weiter in die Höhe. Gleichzeitig wird der Luftraum nach wie vor immer voller.
Macht der zunehmende Verkehr das Fliegen komplizierter?
Die Navigation ist zum Glück sehr viel genauer geworden. Früher sind wir noch mit Koppelnavigationsgeräten über den Atlantik geflogen und mussten unsere Koordinaten händisch eingeben. Da ist man dann auch schon mal 20 Meilen vom Kurs abgekommen. Heute läuft die Navigation automatisiert über Satelliten. Das ist deutlich genauer und sicherer. Andererseits ist in den Lufträumen heutzutage richtig viel los. Von Europa führen bis zu sieben parallele „Flugautobahnen“ über den Atlantik.
Pilotin gibt Tipps gegen Flugangst
Haben Sie einen Lieblingsflughafen, an dem Sie besonders gern gelandet sind?
Der Heimatflughafen Hamburg ist natürlich immer besonders. Das war ein optisches Nachhausekommen. Toll ist auch der Anflug auf New York, wenn man ganz Manhattan von oben sieht. Ich liebe auch den amerikanischen Funkverkehr mit dem Slang und den Abkürzungen.
Und für welchen Flugzeugtyp schlägt Ihr Herz?
Das sind schon die Boeings. Mein erstes Linienflugzeug war die 737, die liebevoll auch Bobby genannt wurde. Da hab ich mich total zu Hause gefühlt, weil ich so viel mit ihr unterwegs war. Außerdem ließ sie sich ganz fantastisch fliegen. Meine Lieblingsmaschine ist aber die 747, einfach weil sie so ein majestätisches Flugzeug ist. Zudem ist die hochredundant konstruiert; alles ist viermal vorhanden. Kein Problem also, wenn doch mal etwas ausfällt.
Haben Sie einen Tipp für Langstreckenflüge?
Es ist als Passagier gar nicht schlecht, den Flug unausgeschlafen anzutreten. Oft wird man dann doch irgendwann müde und nickt zumindest zwischenzeitig ein. Das macht bei Atlantiküberquerungen oft einen entscheidenden Unterschied.
Wie lautet Ihr Rat für Menschen mit Flugangst?
Viele Passagiere sind sehr angespannt, weil sie in Teilen die Kontrolle abgeben müssen. Andere Herausforderungen sind Platzangst. In dem Fall sind die Gangplätze die beste Wahl. Dort kann man sich freier bewegen, zwischendurch die Anspannung ablaufen und einen größeren Raum für sich nutzen. Früher haben wir Leute mit Flugangst gern mal ins Cockpit gelassen, das dürfen wir heute nicht mehr. Dennoch rate ich Passagieren mit starker Angst, sich bei der Crew zu melden. So kann man besondere Rücksicht nehmen.
Unvergessliche Momente im Cockpit

Was war einer der schönsten Momente Ihrer Laufbahn?
1997 bin ich als Co-Pilotin auf der 747 aus Indien zurück nach Deutschland geflogen. Von Delhi ging es gen Norden über den Hindukusch, über Pakistan und Afghanistan, was damals noch erlaubt war. In dieser Zeit war ein Komet namens Hale-Bobb mit bloßem Auge am Himmel zu sehen. Wir sahen also auf der einen Seite den Vollmond, auf der anderen den Kometen und unter uns die Berggipfel des Hindukusch. Das war ein außergewöhnlicher Moment und ich habe wie ein kleines Kind an der Scheibe gehangen. Spektakulär ist es auch, wenn man aus Kanada zurückfliegt und die Nordlichter sieht oder in Südamerika die Anden überquert.
Vermissen Sie das Fliegen nach Ihrer Pensionierung?
Es ist schon komisch. Ich habe mein gelerntes Handwerk aus der Hand gegeben und kann nie wieder einen Jumbo landen. Aber zum Glück habe ich noch Kontakt zu ehemaligen Kolleginnen und Kollegen. Manchmal fliege ich heute noch mit ihnen, das fühlt sich dann ein bisschen an wie früher. Außerdem suche ich als Mediatorin und Coachin neue Herausforderungen, bei denen meine Expertise als Führungskraft aus der Zeit in der Luftfahrt meinen KundInnen zugutekommt.
Wie war Ihr letzter Flug?
Mein letzter Flug ging nach Mexiko, mit einer Crew, die ich mir wünschen durfte. Wir hatten eine tolle Zeit an Bord und vor allem danach. Sie haben mich quasi auf Händen durch die Bars von Mexico City getragen. Daran erinnere ich mich gern zurück.