Völlig losgelöst: Wie steht es um den Weltraumtourismus?

Wer am Leben hängt, ist generell gut beraten, nicht Tom Cruise nachzueifern. Der Hollywoodstar, bekannt für seine todesmutigen Stunts, ließ sich im Laufe seiner Karriere vom Trittbrett eines Helikopters fallen, ohne seinen Fallschirm zu zücken, und schwang sich an der Glasfassade des Burj Khalifa entlang, mit 828 Metern der höchste Wolkenkratzer der Welt.
Doch selbst Tom Cruise hat noch Träume: Schon bald will er in einem neuen Modul auf der Internationalen Raumstation drehen. Ins All bringen wird ihn voraussichtlich eine Crew Dragon Capsule vom Raumfahrtunternehmen SpaceX. Kostenpunkt: 47 Millionen Euro.
Weltraum-Trip: Für 47 Millionen Euro zur ISS

So viel zahlen zumindest Normalsterbliche für die gleiche Reise zur ISS, man muss mittlerweile weder Astronaut noch Action-Star sein, um in den Weltraum abzuheben. Die nächste Etappe des „Space Race“ hat längst begonnen: Eine ganze Reihe teils milliardenschwerer, teils noch sehr junger Unternehmen veranstaltet bereits oder plant in naher Zukunft Reisen, die Privatleute als Passagiere in die Erdumlaufbahn jagen.
Bis 2030 könnte der Wirtschaftszweig Weltraumtourismus bis zu drei Milliarden Euro wert sein. Wer bald nach oben will, sollte schon jetzt seinen Sitz reservieren. Mit rund 47 Millionen Euro ist der rund zehntägige Trip des Unternehmens Axiom Space mit freundlicher Unterstützung von SpaceX zur ISS bis dato eine der teuersten Weltraumreisen. Mit anderen Start-ups kommt man auch schon für einen fünfstelligen Betrag in himmlische Höhen.
Space Travel: Per Fallschirm zurück zur Erde

„Unbeschreiblich“, sei die Erfahrung gewesen, sagt Sharon Hagle, „dafür gibt es einfach keine Worte.“ Als die 74-jährige US-Amerikanerin mit ihrem Mann Marc im März 2022 in Texas abhob, wurde sie zum 599. Menschen im All – und zu einer Hälfte des ersten Ehepaars im Orbit. Die Hagles, die ihr Vermögen als Immobilienunternehmer machten, ersteigerten bei einer Auktion zwei Tickets für Blue Origin.
Das Unternehmen von Amazon-Gründer Jeff Bezos, der 2021 selbst sehr prominent mit Blue Origin ins All abhob, ist breit aufgestellt. Gerade wird etwa an einer Raumstation namens „Orbital Reef“ getüftelt. Das aktuelle Aushängeschild aber ist die komplett ferngesteuerte und wiederverwendbare Rakete New Shepard, an deren Spitze sich eine Kapsel mit Platz für sechs Passagiere befindet. Erst kürzlich hatte Pop-Sängerin Katy Perry für weltweites Aufsehen gesorgt, nachdem sie gemeinsam mit fünf weiteren Frauen mit der Rakete zu einem Flug ins All abgehoben war.
Die Rakete katapultiert die Kapsel auf eine Höhe von mehr als 100 Kilometern, wo die Passagiere etwa drei Minuten Schwerelosigkeit und den Blick durch die von Blue Origin beworbenen „größten Fenster im Weltraum“ genießen. Sehr schnell und gleichzeitig wie in Slow Motion seien diese Minuten vergangen, erinnert sich auch Sharon Hagle. „Es ist eine sehr emotionale und spirituelle Reise, die auf jeden anders wirkt.“ Als sie nach elf Minuten Flug per Fallschirm zurück auf die Erde trudelten, verharrten die Hagles und ihre Reisegefährten noch einen Moment in der Kapsel. „Es war sehr aufwühlend, einige weinten, man braucht Zeit, um sich da zu sortieren.“
Tourismus im All: Das Space Race hat begonnen

Sharon Hagle hat die Organisation SpaceKids Global gegründet und arbeitet seit Jahren daran, Grundschüler für Karrieren in der Raumfahrt zu begeistern. Zeitgleich planen sie und ihr Mann schon die nächsten Trips zu den Sternen: „Wenn es einen Weihnachtsmann gibt, dann würden Marc und ich gerne zwischen drei und fünf Tagen im Orbit fliegen. Ob um den Mond oder die Erde, mir ist beides recht“, sagt sie. Zunächst einmal aber haben die beiden Tickets für einen Flug mit der VSS Unity von Virgin Galactic. Die lieferte mit dem ersten komplett bemannten Flug im Juli 2021 den offiziellen Startschuss für das neue „Space Race“.
Mit an Bord: Milliardär, Virgin-Gründer und Bezos-Rivale Richard Branson. Die VSS Unity ist eine Art modernes Space Shuttle, das in mehr als 80 Kilometer Höhe einen Rückwärtssalto vollzieht und den bis zu sechs Passagieren so zwischen drei und vier Minuten Schwerelosigkeit garantiert. Rund 420.000 Euro kostet der Trip, inklusive vier Tagen Training und einem Parabelflug, um mit der Schwerelosigkeit vertraut zu werden.
Die Vorbereitung findet rund um den Spaceport America in New Mexico statt, dem ersten speziell gefertigten kommerziellen Weltraumflughafen. In der Nähe baut Virgin Galactic für seine Astronauten einen Campus, zu dem ein Wellness-Center, ein High-End-Restaurant sowie Unterkünfte gehören werden. Wer heute seinen Flug reserviert, soll ab 2026 fliegen und möglicherweise schon auf dem dann fertigen Campus trainieren.
Space-Start-ups mit innovativen Ideen

Hinter den Schwergewichten SpaceX, Virgin Galactic und Blue Origin formiert sich eine Verfolgergruppe junger Herausforderer, die Passagiere bald mit einer anderen Technik ins All befördern wollen: Ballons. Statt in einer Rakete von tonnenschweren Treibstofftanks in den Orbit geschossen zu werden, segeln die Passagiere in einer an einem riesigen Ballon hängenden Kapsel entspannt durch die Wolken – so weit die Idee. Für den ersten Flug als Astronaut bedarf es so keines aufwendigen Trainings, und er ist um ein Vielfaches preiswerter. Das günstigste Ticket ist schon ab etwa 46.000 Euro zu haben.
Die Kármán-Linie in 100 Kilometer Höhe, so heißt die offizielle Grenze zum Weltraum, erreicht man dabei nicht, selbst Virgin Galactic kratzt nur an dieser Marke. Doch die Flüge auf etwa 30 Kilometer sind immerhin hoch genug, um den „Overview Effect“ zu genießen. So wird der von Astronauten viel beschriebene Blick auf die Krümmung der Erde hinunter genannt. Dieser Perspektivwechsel wird von allen Space-Anbietern offensiv vermarktet. Er scheint viel mit jenen zu machen, die ihn erleben. „Wenn wir dieses Erlebnis in einer Flasche verkorken und zurück auf die Erde bringen könnten, die Welt wäre eine gänzlich andere“, da ist sich Astronautin Sharon Hagle sicher.
Weil die Ballons sanft nach oben steigen, bleibt genug Zeit für die eine oder andere Annehmlichkeit. Das bald in Florida abhebende Start-up Space Perspective plant, an Bord Cocktails zu mixen. Konkurrent World View, dessen Ballons ab 2024 im Grand Canyon starten sollen, wird Champagner und Plüschsitze bieten. Das französische Unternehmen Zephalto will von Toulouse aus abheben, nachdem es seinen Passagieren vor dem Flug Sterneküche serviert hat.
Preiswertere Alternative: Per Ballon ins Weltall

Ebenfalls über Europa werden die Ballons von Zero 2 Infinity aufsteigen: Der „Bloon“ des in Barcelona beheimateten Start-ups soll in Andalusien starten. Dort sind die Wetterverhältnisse stabiler als im von Hurricanes geplagten Florida. Vor allem aber sei der Ausschnitt der Erde, auf den man hinunterblickt, abwechslungsreicher, findet CEO José Mariano López Urdiales. Die Gipfel der Sierra Nevada, die Wüste von Tabernas, die Straße von Gibraltar – „es finden sich viele Landschaften der Erde in einem sehr kleinen Areal.“
López Urdiales lernte sein Handwerk am renommierten Massachusetts Institute of Technology und ließ schon mit seinem Vater Ballons in den Himmel steigen. „Sie sind die seit dem 18. Jahrhundert am meisten gestarteten und erprobten Flugkörper“, weiß der 45-Jährige. „Wir kehren also zu unseren Wurzeln zurück.“ 2009 gründete López Urdiales Zero 2 Infinity, um den Weltraum nicht nur Milliardären, Regierungen und internationalen Unternehmen zu überlassen, sondern ihn für mehr Menschen erreichbar zu machen.
Mehr als 50 Testflüge hat „Bloon“ bereits absolviert, schon bald könnten die ersten kommerziellen Flüge starten – sofern sich genug Investoren finden lassen. Die Vorteile der Flugkörper liegen für López Urdiales auf der Hand: sicherer, komfortabler, nachhaltiger. Und vor allem verbringt man viel mehr Zeit mit der grandiosen Aussicht auf den Planeten, „Bloon“ soll zwei Stunden in 36 Kilometer Höhe schweben, „die Kosten pro Minute sind also sehr niedrig“. Dass man die Kármán-Linie dabei nicht passiert – geschenkt. Die Krümmung der Erde verändere sich nur minimal, wenn man sie erreiche, sagt der CEO. Und was die andere Blickrichtung betrifft: „Wenn der Himmel erst mal schwarz ist, dann wird er nicht mehr schwärzer.“
Auf Kreuzfahrt im rotierenden Weltraumhotel

Bis heute haben sich nie mehr als 19 Menschen gleichzeitig im Weltraum befunden, aber das wird sich ändern, wenn es nach Above geht. Das US-amerikanische Unternehmen entwirft das erste große Weltraumhotel. Die Raumstation „Voyager“ soll neben 112 Crew-Mitgliedern auch Unterkünfte für 280 Gäste bieten. Aufgebaut ist sie wie ein gigantisches Riesenrad: Die Rotation soll dafür sorgen, dass die Hotelgäste in ihren Suiten beim Schlafen oder Duschen die Vorzüge künstlicher Gravitation genießen, während im Zentrum die volle Schwerelosigkeit erlebbar wird. Themenrestaurants, ein Kino, ein Fitnessstudio und eine Konzertbühne sollen ebenfalls in der „Voyager“ Platz finden – deren Eröffnung bisher nicht datiert ist. Noch steht sie in den Sternen.
Selbst unter den stets mit ihrem eigenen Futurismus kokettierenden Anbietern für Reisen ins All ist das Weltraumhotel also noch Zukunftsmusik. So auch das Projekt des Bauunternehmens Obayashi, das den Tokyo Skytree, das höchste Gebäude Japans, entworfen hat. Bis 2050 plant Obayashi, einen Weltraumaufzug zu konstruieren. Das Erdgeschoss für den im Durchmesser 400 Meter breiten „Earth Port“ soll im Ozean am Äquator liegen, von wo der Aufzug mit Kohlenstoffnanoröhren – 100 Mal reißfester als Stahl – auf bis zu 96.000 Kilometer saust. Und wer weiß: Vielleicht kann der Aufzug im Orbit einen Zwischenstopp einlegen, von dem es dann mit etwas Glück nur ein kurzer Weltraumspaziergang hinüber zur Raumstation „Voyager“ wäre. Auf diesem Weg könnten sogar Passagiere mit Flugangst eines nicht allzu fernen Tages ihren Urlaub im All antreten.
Anbieter für Weltraumtourismus im Vergleich
Unternehmen | Startpunkt | Preis | Flugdauer | Höhe | Flugkörper | Passagiere | Besonderheit | Betriebsbereit | Webseite |
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Axiom Space | Kennedy Space Center, USA | 47 Millionen Euro | 10 Tage + 8 Tage an Bord der ISS | 400 km | Dragon Capsule auf der Rakete Falcon 9 | 4 | mehr als 750 Stunden Astronautentraining und tagelange Schwerelosigkeit an Bord der ISS | ja | axiomspace.com |
Blue Origin | Van Horn, Texas, USA | Nicht bekannt | 11 Minuten | 100 km | Rakete New Shepard | 6 | New Shepard bietet die größten Fenster im Weltall | ja | blueorigin.com |
Space Perspective | Kennedy Space Center, USA | ca. 117.000 Euro | ca. 6 Stunden | 30 km | Wasserstoffballon mit Raumkapsel Neptune | 8 | Cocktails und Livestream-Equipment an Bord | noch nicht | spaceperspective.com |
Above | nicht bekannt | nicht bekannt | theoretisch unbegrenzt | nicht bekannt | Raumstation Voyager | 280 Gäste und 112 Crew-Mitglieder | das allererste Weltraumhotel samt Restaurants, Fitnessstudio, Kino und Konzertbühne | noch nicht | bovespace.com |
Virgin Galactic | Spaceport America, USA | ca. 420.000 Euro | 90 Minuten | 80 km | Raumfahrzeug VSS Unity | bis zu 6 | viertägiges Astronautentraining samt Parabelflug und Aufenthalt auf dem Virgin-Galactic-Campus | ja | virgingalactic.com |
World View | Grand Canyon | ca. 46.000 Euro | 5 - 8 Stunden | 30 km | Heliumballon mit Explorer Space Capsule | 8 | Sternenteleskop, Toilette und eine Bar an Bord | noch nicht | worldview.space |
Zephalto | Toulouse | ca. 120.000 Euro | 6 Stunden | 25 km | Helium- oder Wasserstoffballon mit Raumkapsel Céleste | 6 | Sterneküche in der Kapsel | noch nicht | zephalto.com |
Zero 2 Infinity | Andalusien | ca. 124.000 Euro | 4,5 Stunden | 36 km | Heliumballon samt Raumkapsel Bloom | 4 | maßgeschneiderte On-Board-Elebnisse wie Geburtstagspartys, Vorstandssitzungen oder auch Hochzeitsfeiern | noch nicht | zero2infinity.space |