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Wellness

Schlaflos auf Reisen? Was hinter dem Trend Schlaftourismus steckt

Schlaflosigkeit ist weit verbreitet, guter Schlaf die ultimative Wellnesserfahrung – und Hotels reagieren darauf. Von Schlaf-Retreats bis hin zu Hightech-Matratzen: Der Boom des „Sleep Tourism" zeigt, wie sehr wir uns nach erholsamen Nächten sehnen. Doch warum schlafen wir in fremden Betten oft schlechter? Und was hilft wirklich? Ein Blick auf die neuesten Trends.

Text Bettina Wündrich
Datum 31.01.2025

Auf meiner letzten Reise verbrachte ich eine unvergessliche Nacht in der Badewanne – ohne Wasser, dafür mit jeder Menge Kissen, eine Hand am Smartphone, einen Film streamend, die andere in einer Chipsdose aus der Minibar. Davor hatte ich mich gefühlt stundenlang neben meinem umstandslos in Tiefschlaf gefallenen Freund gewälzt, bis die Synapsen meines nachtaktiven Hirns eine Verbindung zu den Achtzigern herstellten: Plötzlich fiel mir der Filmklassiker „Staatsanwälte küsst man nicht“ ein, genauer die unvergessliche Szene, in der Robert Redford als schlafloser Staatsanwalt Tom Logan nachts um zwei (in Straßenschuhen und Pyjama) auf den blanken Fliesen seines Badezimmerbodens einen Stepptanz gegen seine Schlaflosigkeit vollführt. 

Der Schlaf ist scheu und lässt sich nicht greifen – je mehr Aufhebens wir um ihn machen, desto weiter entzieht er sich

Vermutlich litt ich unter dem „First Night Effect“, dem nächtlichen Alb vieler frisch Angereister. Forscher haben ihn bei verdrahteten Probanden in Schlaflaboren ausgemacht: Statt wie üblich komplett in den „Default“-Modus zu gehen, arbeitet unser Gehirn in einer ungewohnten Umgebung asymmetrisch, ähnlich dem dösender Vögel oder mancher Meerestiere, die nachts attackiert werden können: Während die rechte Hirnhälfte herunterfährt, bleibt die linke in dem nicht vertrauten Umfeld im Alarmzustand. Ausgerechnet dann also, wenn wir doch alle Vorkehrungen getroffen und keine Kosten und Mühen gescheut haben, um mal so richtig aufzutanken, in einer traumhaften Umgebung, die uns auch einen traumhaften Schlaf bescheren soll, ausgerechnet dann werden wir von unserem eigenen Hirn wach gehalten. 

Doch Erlösung naht, solche inneren Kämpfe müssen Schlaflose auf Reisen nicht mehr allein austragen. Seit ihrem Re-Opening nach den Lockdowns haben immer mehr Hotels Voraussetzungen geschaffen, unseren krisengepeinigten Geist zu befrieden, Zimmer und Suiten werden mit vielen Hilfsmitteln ausgestattet, die guten Schlaf unterstützen sollen: Kissen in allen Füllungen und Formen, Düfte, Klangschalen, Spieluhren wie aus Kindertagen, Schlafbrillen und Raumsprays. Manche Reisende, die sich zu Hause nachts hin und her wälzen, steuern inzwischen bewusst bestimmte Hotels an, um im Urlaub dort wieder das Schlafen zu lernen. Schlaftourismus boomt. 

Sleep Concierge & Schlafhypnose: Diese Hotels folgen dem Trend des Sleep Tourism

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Keine Fenster, keine elektronischen Geräte, dafür helles Holz und weiches Licht: The Zedwell schafft es, das tägliche Rambazamba des Piccadilly Circus fernzuhalten.

Malminder Gill ist die erste Sleep Concierge und hat sich als solche diesen Begriff schützen lassen. Als Hypnotherapeutin hat sie mit einem Hotel ein Programm für Gäste entwickelt: Im Londoner Cadogan, das zu den luxuriösen Belmond-Hotels gehört, verhilft sie ihnen an der eleganten Sloane Street durch Schlafhypnotherapie zur Tiefenentspannung. Im Zedwell Hotel, direkt am Picadilly Circus, kann man fensterlose, mit Holz ausgekleidete Bettkabinen buchen, in denen sich das Licht gemäß dem Biorhythmus verändert (Motto: „snooze, not views“): Wie in einer komfortablen, kuscheligen Wabe muss man sich dort fühlen oder wie im Auge des Orkans, in dem es bekanntlich immer windstill ist. Andere Hotels setzen auf künstliche Intelligenz im Bettenbereich: Das Park Hyatt in New York und The London in West Hollywood/ Beverly Hills sind eine Kooperation mit der Firma Bryte eingegangen, einem Entwickler für Restorative Sleep Technology, die dafür sorgt, dass sich die Matratze permanent Körpertemperatur und Bewegung anpasst. 

Wieso brauchen wir eigentlich Schlaf?

Es ist übrigens bis dato eines der ungelösten Rätsel der Wissenschaft, weshalb es die Natur so eingerichtet hat, dass Menschen und Tiere schlafen müssen. Statistisch gesehen verbringen wir ein Drittel unseres Lebens schlafend, die meisten Menschen brauchen sieben bis acht Stunden Nachtruhe, um ihren Körper zu regenerieren, unsere Leistungsfähigkeit ist schon nach 24 durchgewachten Stunden spürbar beeinträchtigt. Unser Gehirn muss sich in einem bestimmten Rhythmus sortieren und reinigen. Im Ruhezustand werden im Hirn Proteinreste weggespült und Verbindungen zwischen den Nervenzellen gelöst, damit wieder neue entstehen können. Die Botenstoffe zwischen den Synapsen kommen wieder ins Gleichgewicht. 

Die Serotoninproduktion wird nachts – also bei verminderter Helligkeit – zurückgefahren. Melatonin wird ausgeschüttet, um uns das Einschlafen zu erleichtern. Ein Mangel an Serotonin scheint mit dafür verantwortlich zu sein, dass wir etwa zwischen zwei und drei Uhr eine kleine Depression durchlaufen. Vermutlich kennt jeder diese bedrohlichen Gedanken in der Nacht, wenn sich Urängste („Ich werde bestimmt rausgeschmissen und verarmen und außerdem verlassen!“) Bahn brechen und im Kopf Dauerschleifen drehen. Man sollte sie, das nur am Rande, auf keinen Fall ernst nehmen. Ein wirksames Mittel dagegen soll sein, sie aufzuschreiben und am nächsten Morgen, unter der heilenden Wirkung des Tageslichts, lauthals auszulachen.

Schlaflosigkeit: Warum das Problem immer größer wird

Den Schlaf auszukosten, ihn gar zu kultivieren, ist eine Errungenschaft der Moderne. In der Bewegung des Puritanismus im 16. Jahrhundert betrachtete man ihn als Zeitverschwendung, und mit dem Aufkommen des Protestantismus und der Fokussierung auf das Diesseits wurde die Erfüllung der Alltagspflichten zum Ziel menschlichen Strebens: kontrollierte Lebensführung, um die zerstörerischen Triebe im Zaum zu halten. Der Denker Immanuel Kant legte sich im 18. Jahrhundert ein strenges Schlafregime auf, um sein avisiertes Pensum zu schaffen, jeden Morgen Punkt fünf Uhr ließ er sich von seinem Diener wecken – egal, ob er jammere oder nicht, solle dieser ihn aus dem Bett werfen. Der Schlaf galt ihm als notwendiges Übel. Heute sind wir von dieser Haltung gar nicht so weit entfernt. Dr. Tatjana Crönlein, Psychologische Psychotherapeutin am Schlaflabor des medbo Bezirksklinikums Regensburg, sagt: „Tatsächlich ist das ein Argument, das ich sehr häufig von Insomniepatienten höre: ‚Ich brauche den Schlaf, um leistungsfähig zu sein.‘“ 

Wir leben in mehreren Paradoxien: Obwohl wir die Voraussetzungen und technischen Hilfen haben, unser Leben einfacher und angenehmer zu gestalten, werden wir immer hilfloser und gestresster. Darunter leidet auch unser Schlaf, „der sehr sensibel, sehr reaktiv ist, ähnlich unserem Blutdruck“. Stress erschwert die Fähigkeit zu entspannen, was so weit gehen kann, dass Entspannung nahezu unmöglich ist. Allerdings: „Schlaf als solcher, wenn er erst mal funktioniert, ist ziemlich robust. Das zeigt sich beispielsweise an Kleinkindern oder Säuglingen.“ Je mehr Aufhebens wir um den Schlaf machten, desto mehr entzieht er sich. Mit anderen Worten: Wer unbedingt schlafen will, bleibt leider wach. Das ist das eine. Das andere: Unser Schlafbedürfnis ist gestiegen, nicht nur weil offenbar immer mehr Menschen an Schlafstörungen leiden (gemessen wurde, dass Menschen in westlichen Ländern heute etwa eine Stunde weniger schlafen als noch vor 20 Jahren). Uns wird immer bewusster, dass wir dem Leistungs- oder Performancedruck, dem wir von vielen Seiten ausgesetzt sind, nur schwer standhalten können. 

Was uns bewegt, ist die Sehnsucht nach Schlaf: Das „Philosophie Magazin“ diskutiert in einem Sonderheft unsere „übermüdete Gesellschaft“, das Magazin „Zeit Wissen“ machte jüngst „Die Nacht“ zum großen Thema mit der Coverzeile „Endlich schlafen!“. In seinem neuesten Forschungsprojekt definiert der Soziologe Hartmut Rosa unsere Gesellschaft als „Hochenergiegesellschaft“. Wir verbrauchen nicht nur immer mehr physische, sondern auch psychische Energie, befinden uns also in einer „doppelten Energiekrise“. Was eine Erklärung dafür sein könnte, weshalb das, was sich in der Tourismusbranche seit zwei, drei Jahren Sleep Tourism nennt, so erfolgreich ist.

Schlaf-Retreats: Erholung für Körper und Geist

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Im Lefay Resort & SPA Lago di Garda wird neben traditionellen Wellnessmethoden auch chinesische Medizin eingesetzt – auch, um die Schlafqualität zu verbessern.

„Schlafurlaub“ ist längst nicht mehr nur eine Verlängerung des klassischen Wellnessurlaubs in die Nacht. Sogenannte Sleep Retreats machen es sich dezidiert zur Aufgabe, Schlafverhalten zu analysieren und nachhaltig, also über den Urlaub hinaus, zu stabilisieren. In der Regel fängt der Aufenthalt erst bei drei Nächten Minimum an, andernfalls lohnt sich der Aufwand an medizinischer Betreuung kaum. Im italienischen Lefay Resort & Spa, mit herrlichem Blick über den Gardasee, versucht man zum Beispiel mit den Mitteln der chinesischen Medizin die energetische Balance wiederherzustellen. 

Im luxuriösen Six Senses Douro Valley in Portugal führen Sleep Consultants medizinische Check-ups und Belastungs-EKGs durch, analysieren via eines Trackers am Mittelfinger nachts den Schlafzyklus. Und manch Gast erfährt hier: Schlafquantität ist nicht gleich Qualität, es geht also nicht nur um durchschlafene Stunden. Das individuelle Programm mag stressig klingen, doch alles kann, nichts muss. Allein die Aussicht auf die sanften Hügel des Douro-Tals beruhigt schon die Nerven.

Wer schlafen will wie auf Wolken, der checkt weiter im Landesinneren ein, im Hästens Sleep Spa in Coimbra. Die blauweiß karierten Betten des schwedischen Herstellers (und Lieferanten des schwedischen Königshauses) fügen sich dort ins Ambiente ein. Und auch die Küche ist statt auf „Bettschwere“ auf Leichtes ausgerichtet. Die unverkennbaren Hästens-Betten gibt es auch hierzulande: Im oberbayerischen Ramsau, mitten im idyllischen Berchtesgadener Land, kann man ebenfalls auf deren  ausgeklügeltem Taschenfederkernsystem, Rosshaar und einer Flachsdecke gegen elektromagnetische Strahlung liegen (Kostenpunkt eines Hotelbetts rund 14 000 Euro). 2022 hat Johannes Lichtmannegger im Berghotel Rehlegg alle Betten gegen die Blau-Weißen ersetzt, sogar die Jacuzzis auf den Balkonen wurden herausgerissen. Jetzt kann, wer will, hier unterm echten Sternenzelt schlafen. 

„Millionen für Wellnesseinrichtungen und goldenen Schnickschnack auszugeben, so wie viele Luxushotels“, sagt Lichtmannegger, sei nicht mehr zeitgemäß. Er selbst, der nach mehreren Bandscheiben-OPs nur noch mit eigener Schlafunterlage verreist, hat das Schafunwohlsein auch bei den eigenen Mitarbeitern registriert und für sie schon Seminare mit einer Schlaftherapeutin initiiert. Nun beobachtet er um sich herum lauter glückliche Menschen. 

Schlaf als neues Luxusversprechen: Ein Land der Träume, das nur uns gehört

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Abtauchen ins ganz eigene Land der Träume: Das versprechen immer mehr Hotels mit ihren Maßnahmen rund um Sleep Tourism.

Ja, so ist das mit dem Schlaf: Wenn er funktioniert, fühlen wir uns danach unbesiegbar. Und wenn wir dann zurückkehren in unseren Alltag? Müssen wir wieder den Wecker stellen, um aufzuwachen. Und wenn wir uns später zur Nacht betten, fühlt sich das an wie ein Anachronismus in einer Welt, die 24/7 in Bewegung ist. Elektrizität und Technik haben uns scheinbar unabhängig gemacht von den natürlichen Rhythmen unseres Körpers, den Jahreszeiten, von hell und dunkel. Vergessen wir aber nicht, dass Schlaf, so hat es schon der amerikanische Psychologe Abraham Maslow in seiner Pyramide skizziert, ein menschliches Grundbedürfnis ist. Dass unser Organismus Schlaf verlangt, kann unsere Chance sein: Der Schlaf ist unsere letzte, wilde Bastion, in der wir uns ziellos verlieren können; ein Land der Träume, das nur uns selbst gehört.