Liebesbrief an die Amalfiküste: Du lässt mich nicht mehr los!

Tausendmal gesehen, dachte unsere Autorin Anja Schauberger, da muss ich nicht hin. Bis sie ein Hotel entdeckte, das ihre Sehnsucht weckte, bis das Meer live vor ihren Augen flimmerte und ihre Seele vor Anker ging. Seitdem kommt sie immer wieder. Wieso dieser Ort sie nicht mehr loslässt, erzählt sie uns in ihrem Liebesbrief an die Amalfiküste.
Text Anja Schauberger
Datum18.09.2025

Wer an die Amalfiküste denkt, sieht bunte Häuser und steile Klippen vor sich, bunt bemalte Keramik und Zitronen. Wer an die Amalfiküste denkt, hat auch viele Menschen vor Augen, enge, gut gefüllte Gassen, Touristenboote neben Luxusyachten, Strände mit Hunderten aufgereihten Liegen. 

Wenn ich an meine Amalfiküste denke, dann steht Antonio vor mir, der uns jeden Morgen mit einem herzlichen „Buongiorno, Buongiorno“ begrüßt, an das salzige Meer, das nirgendwo so glitzert wie hier, und an endlose Ruhe. Im Hintergrund rauscht nur das Mittelmeer oder irgendein italienischer Radiosender. Ich träume von Morgens-sofort-ins-Meer-Springen, Mittagsschlaf im Schatten und eiskaltem Limoncello Spritz am Abend. Touristen und Instagram-Hotspots, Zitronen- und andere Keramik: Das alles gehört zur Amalfiküste, aber es ist nicht die Amalfiküste – für mich beginnt sie erst jenseits davon. Es ist möglich, das Laute, Bunte und Volle auszuklammern.

Ein Ort, zu schön, um wahr zu sein

Mit dem Fels verwachsen: die bunten Häuser von Positano.

Das Wichtigste an der italienischen Küste (an jeder italienischen Küste) ist ein guter Rückzugsort. Meiner ist das kleine Hotel Villa San Michele unterhalb von Ravello. Ein Zufallsfund, vor ein paar Jahren stieß ich darauf. Es war gar nicht die Amalfiküste, jener rund 40 Kilometer lange Küstenstreifen im Süden der Halbinsel Sorrent, der an seiner dramatischen Felsenküste ein Bilderbuch-Städtchen nach dem anderen in seine Buchten tupft, wo ich unbedingt hinwollte. Es war dieses Hotel. Also stiegen wir in München ins Auto und fuhren den ganzen weiten Weg runter bis nach Amalfi. 

Ich weiß noch genau, wie wir das erste Mal auf die Amalfitana, die italienische Küstenstraße, fuhren. Ein Örtchen malerischer als das vorige, ein Ausblick dramatischer als der andere und unten das tiefblaue Meer, das sich in Wellen an den rauen Felsenklippen brach. „Was ist das für ein unwirklicher Ort?“, dachte ich. Wie in einer Filmkulisse, Italien so, wie Hollywood es inszenieren würde. Bella Italia, so richtig dick aufgetragen, alles dabei und alles in leuchtenden Farben. Es ist genau dieses Fast-schon-zu-viel, das mich seither immer wieder hierher zieht. Die Amalfiküste ist im besten Sinne zu schön, um wahr zu sein. Und das ist okay, es ist schließlich Urlaub. 

Auch die Amalfiküste hat ihre Schattenseiten

In Positano lassen sich viele Schattenseiten der Amalfiküste – wie der Overtourism – sehr gut beobachten.

Bevor ich dieses erste Mal hierher kurvte, dachte ich, die Amalfiküste sei auserzählt. So oft gezeigt, dass gefühlt jeder schon dort war, so wie New York, wie die Strände der Karibik, die Reisfelder auf Bali, die Pyramiden von Gizeh. Auch wenn man live noch nie dort war, hat man all das so oft gesehen, dass es vertraut wirkt. Das birgt große Enttäuschungsgefahr. Weil Bali eben nicht nur tolle Reisfelder hat, sondern auch ein Müllproblem, weil man vor den Pyramiden von Händlern angequatscht wird, weil die karibischen Strände dann doch gar nicht nur weiß sind. Weil New York auch laut und stressig ist. 

Natürlich hat auch die Amalfiküste ihre Schattenseiten – Leerstand, Übertourismus, Wucherpreise. Diese Enttäuschung, die hatte ich dort trotzdem irgendwie nie. Tatsächlich fand ich manche Ecken sogar schöner als auf den Fotos, weil sie nicht ganz so glattgebügelt waren wie versprochen. Das Unperfekte macht diese Region aus, so wie es ganz Italien ausmacht, dass alles ein bisschen in die Jahre gekommen ist. Nirgendwo sonst verzeiht man Plastiktischdecken, rissige Fassaden und kitschige Blumentapeten. 

Ein Ausblick wie ein Gemälde

Das Farbkonzept der Amalfiküste wird meist akzentuiert von Zitronen in irgendeiner Form – hier Sorbet.

Nur ein kleines Schild am Straßenrand verwies auf unser Hotel, wir parkten das Auto und stiegen die Stufen hinunter. Die kleine Anlage erstreckt sich über mehrere Etagen bis hinunter zum Meer, wo ein Sonnendeck mit Liegestühlen zum Baden einlädt. Als wir an der Rezeption standen, konnte ich meinen Blick nicht von der offenen Balkontür abwenden – ein Ausblick wie ein Gemälde. Die Landzunge gegenüber, tiefgrün bewachsen, ragt ins Meer, dahinter eine Insel im Nebel, wie ein Versprechen, vielleicht Capri, und davor eine Handvoll weißer Boote auf dem tiefblauen Wasser. Geschäftig, jedes fuhr in eine andere Richtung, sie alle schlugen weiße Wellen auf dem blauen Untergrund. Sowieso ist alles weiß-blau hier: die Fliesen und Fensterläden, die Balkongeländer, die Sonnenschirme und Liegestühle, das Geschirr und der Himmel. Und alle anderen Farben fügen sich perfekt ein, als hätte jemand ein Amalfiküsten-Farbkonzept erstellt – die rote Tomatensoße, die pfirsichfarbenen Häuser, das Gelb der Zitronen. 

Schon beim ersten Besuch hatte ich das Gefühl, dass dieser Ort für mich eine besondere Bedeutung behalten würde. Ich komme aus München und war wirklich oft in Italien, aber kein Ort hatte mich so gecatcht wie die Amalfiküste. Ich fühle mich ihr verbunden. So wie Freunde von mir immer und immer wieder nach Tokio fahren, an der portugiesischen Algarve surfen oder auf Island wandern, weil sie sagen: Dieser Ort hat etwas, das mich magisch anzieht. So ist es bei mir mit dieser Ecke Italiens. Als wäre da ein unsichtbares Band. Man kann nicht genau erklären, was dahintersteckt. Ich weiß nur: Wenn ich dort bin, dann bin ich genau am richtigen Ort. Aufgeräumt und selig.

Zur Amalfiküste gehört Mut zur Lücke

Sehnsuchtsort vieler Italien-Reisender: die Amalfiküste.

Zum ersten Mal unsanft aus meinem Amalfi-Traum erwacht bin ich, als wir ein paar Tage später in die gleichnamige benachbarte Stadt spazierten. Zuerst einmal waren wir froh, überhaupt unbeschadet anzukommen. Es gab keinen Fußgängerweg, nur die kurvige Amalfitana und jede Menge zu schneller Autos. Italien ist kein Fußgängerland. In Amalfi angekommen, wurden wir sofort mitgerissen von einem Strudel Touristen, der sich durch die Gassen drängelte. Niemand sprach Italienisch. Jeder Laden sah gleich aus und verkaufte das Gleiche – Kleider mit Zitronen, Teller mit Zitronen, Schirme mit Zitronen. Der Strand war enttäuschend, und im Wasser ließen sich Influencerinnen gerade von ihren Instagram Husbands fotografieren. Ohne Reservierung bekam man natürlich keinen Restauranttisch. Wir waren froh, als wir zurück in unserem Hotel waren. Also blieben wir die restliche Zeit im Hotel, schauten aufs Wasser, gingen in aller Ruhe baden, aßen jeden Tag ganz hervorragend.

Auch nach dieser ersten Woche an der Amalfiküste hatte ich mich nicht sattgesehen. Weder am Meer noch an der einmaligen Architektur und schon gar nicht am Essen. Jeden Abend gab es im Hotel ein wechselndes Drei-Gänge-Menü. Ich erinnere mich an Paccheri, Ravioli, Spaghetti, Tagliatelle, Scialatielli. An Parmigiana di Melanzane, an jede Menge frischen Fisch, an Meeresfrüchte, Vongole, an Pistazientorte, Torta Caprese und eine Art Windbeutel mit Kaffeecreme-Füllung. Manchmal fuhren wir mittags rauf nach Ravello, um dort spazieren zu gehen und Pizza zu essen. Hier war es zumindest nicht ganz so voll wie an den Küstenorten.

Zur Amalfiküste gehört Ausprobieren und auch Mut zur Lücke. Man muss nicht alles sehen. Nach der Erfahrung in Amalfi sparten wir uns weitere Instagram-Städte. Obwohl ich nun seit sechs Jahren immer wieder in diese Gegend komme, war ich immer noch nicht in Positano, bin nie in der Bucht Fiordo di Furore geschwommen oder mit dem Boot nach Capri gefahren. Es hat mich nicht dorthin gezogen. Dann lernte ich letztes Jahr in unserem Hotel ein nettes älteres Paar aus Irland kennen, die Frau war mindestens genauso verliebt in die Amalfiküste wie ich. Auch sie hatte diese Schönheit nicht mehr losgelassen, sie kamen seit vielen Jahren jeden Herbst wieder. Sofort notierte ich mir ihr Lieblingshotel in Positano. Sie meinten, wenn die Touristenboote abends fahren, sei es der schönste Ort der Welt. Jetzt muss ich also doch so bald wie möglich nach Positano!