Mittelmeer-Kreuzfahrt Deluxe: Unterwegs zuhause

Kreuzfahrt-Kosmos, All inclusive und früh aufstehen? Drei Dinge, die Merian-Autorin Sarah Bischoff bisher wenig faszinierten. Bis sie 1.405 Seemeilen auf einem Kreuzfahrtschiff zurücklegte, das ihre Meinung änderte. Ein Erfahrungsbericht auf der Silver Ray.
Text Sarah Bischoff
Datum12.11.2025

Fernweh liegt bei mir in der Familie. Mein Urgroßonkel besaß ein Reisebüro, an dessen Wand in schwungvoller Schrift stand: „Reisen ist Leben“ (H. C. Andersen). Dass sich dieses Gefühl zwischen Heimweh und Fernsucht vererben lässt, dafür bin ich das beste Beispiel. Nach zwölf Tagen, zehn Häfen, vier Ländern, zwei Meeren und vielen magischen Momenten habe ich nun eine überraschende Entdeckung gemacht: Beide Gefühle schließen einander nicht aus, sie lassen sich sogar gleichzeitig bedienen. 

Auf der Silver Ray 12 Tage durch das Mittelmeer und den Atlantik

7087. Das ist die Nummer meiner Suite, eine von insgesamt 369 auf dem eleganten Kreuzfahrtschiff Silver Ray. Lange Schiffskorridore mit weichem Teppich und Kunst an den Wänden führen mich in mein Zuhause für die kommenden elf Tage. Begehbarer Kleiderschrank, Marmorbad, deckenhohe Panoramatüren für viel natürliches Licht: Meine Suite verbindet Eleganz mit erstaunlich viel Stauraum. Ein Schritt hinaus und ich stehe auf meinem Balkon – mit Blick auf das geschäftige Treiben im Kreuzfahrtterminal Barcelona. Hier startet meine Reise mit Silversea Cruises durch das Mittelmeer und den Atlantik: mit Halt auf den Balearen, in Andalusien, Gibraltar, Marokko und Portugal.

➔ Hier geht es zum ausführlichen Schiffs-Review der Silver Ray.

Ganz schön durchdacht – die Classic Veranda Suite auf dem Schiff Silver Ray.

Während meine 719 Mitreisenden peu à peu eintrudeln, unternehme ich einen ersten Streifzug über das Schiff. Neun edle In- und Outdoor-Restaurants gibt es an Bord, ich lasse mich im quirligen Arts Café zu einem Haselnuss-Eclair verführen und genieße die Ruhe auf den mit Sonnensegeln bestückten Außendecks. Auf Deck 11 entdecke ich eine Messingplakette mit der Aufschrift „Meyer Werft – Papenburg, Germany 2024“. Die Silver Ray ist also ein Nordlicht, so wie ich. 

Vieles auf diesem Schiff überrascht mich, auch an mir selbst. Während ich im Alltag Aufzüge eher als klaustrophobisch empfinde, werden die außenliegenden und komplett verglasten Panoramafahrstühle schnell zu einem meiner liebsten Orte auf dem Schiff. Vor allem in den frühen Morgen- und Abendstunden bieten sie herrliche Blicke auf das Farbspiel über dem sich kräuselnden Wasser. Mein Abendspaziergang endet auf Deck 10, wo The Dusk Bar ihrem Namen mit einem 270-Grad-Ausblick am Heck des Schiffs alle Ehre macht, während der Himmel über Barcelona alles gibt. Als ich mich später in die italienische Designerbettwäsche kuschle, die eigens für Silversea entworfen wurde, wiegen mich das leichte Schaukeln und die seichten Vibrationen des Schiffmotors in den Schlaf.

Silverseas gastronomisches Konzept

Ein Spiel aus Licht und Schatten im Bordrestaurant The Marquee

135 Seemeilen später wache ich in Palma de Mallorca auf. Während ich mein Frühstück im La Terrazza auf Deck 4 – morgens zwangloses Buffet, abends italienisches À-la-carte-Restaurant – genieße, stelle ich überrascht fest, dass es keine 24 Stunden gedauert hat, bis ich Zeit und Raum vergessen habe, weder Heim- noch Fernweh an mir nagen.

 „Insgesamt sind 540 Crew-Mitglieder aus 55 Nationen an Bord“, erzählt Kapitän Samuele Failla später. Der fröhliche Italiener spricht Englisch, so wie alle Crew-Mitglieder. Ihre Namensschilder verraten neben der Position auch das Herkunftsland – ein guter Eisbrecher.

Nachdem ich tagsüber die mallorquinische Hauptstadt erkundet habe, nehme ich abends an einem Get-together für Alleinreisende teil. Eine von täglich rund 50 Möglichkeiten – von Aquarellmalen über Vorträge bis zum Sprachunterricht –, um Gleichgesinnte kennenzulernen. In der gemütlich-eleganten Dolce Vita Bar auf Deck 5 treffe ich Erika aus Connecticut und Pat aus Sydney, zwei passionierte Kreuzfahrerinnen. Wir verlagern unser Kennenlernen ins S.A.L.T. Kitchen.

Hinter dem Akronym verbirgt sich das kulinarische Konzept „Sea and Land Taste“. Damit will die Reederei die lokale Küche entlang der Reiseroute sowohl an Bord als auch an Land erlebbar machen. Hier im S.A.L.T. Kitchen wechselt die von den jeweiligen Destinationen inspirierte Speisekarte mit lokalen Zutaten alle zwei Tage, dazu gibt mehr als 160 regionale Weine. Erika, Pat und ich stoßen an – und laufen uns praktischerweise fortan immer wieder über den Weg. Die Stimmung auf der 244 Meter kurzen Silver Ray ist herzlich, fast familiär. Wer möchte, findet schnell Anschluss.

Das offene asymmetrische Design des Schiffs bietet eine angenehme Balance aus zwangloser Nähe zu den anderen Passagieren und ausreichend Raum für sich, Platz für ein Nickerchen am Pool ist in der Regel immer mühelos zu finden.

Kulinarische Einblicke im Hinterland Andalusiens

Ein eingespieltes Team: Fran und Charo Carmona vom Restaurant Arte de Cozina (eines der kulinarischen Ausflugsziele von Silversea).

Nach den Balearen geht es über Valencia und Cartagena (weniger touristisch und Geschichte pur!) weiter nach Málaga. Die Stunden und Tage vergehen an Bord geschwind. All die Aktivitäten und über 100 mögliche Landausflüge könnten gar für Freizeitstress sorgen. Wenn man es zulässt. Fester Bestandteil meiner täglichen Navigation ist die Bordzeitung, die abends druckfrisch in meiner Suite liegt, begleitet von einem Betthupferl. 

640 Seemeilen: Wir ankern über Nacht an der Costa del Sol. Genug Zeit für einen kulinarischen Ausflug in das andalusische Hinterland, der zum S.A.L.T.-Konzept gehört. Ich teile mir den Van mit Sherry, Keith und Johann. Die drei haben sich auf einer Silversea-Reise kennengelernt, bereisen seitdem regelmäßig die Welt zusammen. Sherry ist bereits seit 22 Tagen an Bord. 

Unser heutiges Ziel ist der 40.000-Einwohner-Ort Antequera, mitten im Herzen Andalusiens. Er ist Heimat und Wirkungsstätte von Charo Carmona. Zusammen mit ihrem Sohn Fran betreibt sie das Restaurant Arte de Cozina. „Wir wollen Antequera erlebbar machen. Ähnlich wie bei einem Museumsbesuch, allerdings auf kulinarische Weise.“ Vor über 25 Jahren hat sich Charo, die sich selbst ungern Chefköchin nennt, das Kochen selbst beigebracht. Ihre Spezialität sind traditionelle Familienrezepte, die bis in das 17. Jahrhundert zurückreichen. „Die Zutaten stammen fast alle aus dem fruchtbaren Tal Antequeras – von Fleisch über Getreide und Gemüse bis zum Olivenöl“, erklärt Charo. Selbst der Reis für den Nachtisch komme aus Andalusien. Sechs einzigartige Gänge – darunter Schweinelende, die auf der Zunge zergeht –, jede Menge kulinarisches Wissen und ausgetauschte Rezepte später machen wir uns auf den Rückweg zum Schiff. Mit dem guten Gefühl, tief in die andalusische Lebensart und Kulinarik eingetaucht zu sein.

Stippvisite an der marokkanischen Riviera

Blick von der historischen Kasbah auf die Silver Ray und die Große Moschee von Tanger

Nach einem Halt in Gibraltar samt erfrischender E-Bike-Tour stimme ich mich am nächsten Vormittag mit einem Kochkurs auf unsere nächste Destination ein: Marokko. „Wir kochen jeden zweiten Tag ein anderes Gericht, passend zu den Zielen. Ich mag es, mich da immer neu einzufinden, und bestimmte Zutaten frisch vor Ort einzukaufen“, sagt S.A.L.T.-Host Carolina. Die Portugiesin war bereits an Bord, als das kulinarische Programm 2021 startete. Wir bereiten im Lab Hähnchen-Tajine zu, bevor uns der Shuttle-Bus in der Nähe der Medina von Tanger absetzt. Nur wenige Schritte und ich bin mittendrin, zwischen frischen Feigen, schlummernden Katzen und feilschenden Händlern. Ich lasse mich zur Kasbah treiben, einst Festung und Zentrum von Marokkos drittgrößter Stadt. Der Wind zerzaust meine Haare und den Atlantischen Ozean. In nicht so weiter Ferne liegt, gesäumt von Tangers Großer Moschee, die Silver Ray.

Die Zeit auf der Silver Ray vergeht wie im Flug

Balkon-Blick: der Sonnenaufgang an Bord der Silver Ray

Hat mich nicht gerade noch die Kathedrale von Cádiz von meinem Balkon aus begrüßt? Die letzten 256 Seemeilen nach Lissabon legen wir tagsüber zurück. Der Tag begrüßt mich mit einem Sonnenaufgang wie aus dem Bilderbuch. Die einzelnen Strahlen tanzen munter auf den sanften Wellen, während das Schiff durch den Atlantik gleitet. Heute lasse ich mich einfach treiben. Bei einem Mixology-Kurs lerne ich, Drinks mit Pisco zu zaubern. Und ich darf Samuele Failla auf der Brücke über die Schulter schauen. Hinter einer unscheinbaren Tür auf Deck 8 verbirgt sich eine Hightech-Zentrale mit piepsenden Geräten und konzentrierten Männern. 

Am Abend schlüpfe ich in mein schönstes Kleid und treffe mich mit Sherry, Keith und Johann für die große Abschiedsshow. Als der Kapitän uns mit einem herzlichen „Arrivederci“ verabschiedet und es Standing Ovations für die Crew gibt, spüre ich, dass mir der Abschied trotz meiner anfänglichen Skepsis nicht leichtfällt. 

1.405 Seemeilen, Zielhafen Lissabon: Am nächsten Morgen lasse ich meine Reise so ausklingen, wie ich sie angefangen habe. Ich spaziere noch einmal über die Außendecks, eingerahmt von der malerischen Stadtkulisse. Die Vorbereitungen für die nächsten Gäste laufen bereits auf Hochtouren. Am Abend sticht das Kreuzfahrtschiff wieder in See, ohne mich. Erstaunlich, wie schnell ich mich auf der Silver Ray heimisch gefühlt habe. Unterwegs und doch zuhause, auf so einem Schiff ist das kein Widerspruch.

Diese Reise erfolgte auf Einladung von Silversea Cruises.