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Kultur

Im Land der Pfirsiche: Regisseurin Carla Simón im Interview

Bei Katalonien denken die meisten sofort an Barcelona. Die katalanische Regisseurin Carla Simón rückt ein kleines Dorf weit im Westen Kataloniens ins Rampenlicht: Alcarràs. Der gleichnamige Film gewann im Februar den Goldenen Bären der Berlinale. Jetzt kommt er in die deutschen Kinos.

Datum 09.08.2022

Merian: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über Alcarràs zu drehen?

Carla Simón: Alcarràs ist das Heimatdorf meiner Mutter. Sie ist mit 18 Jahren dort weggezogen, aber ihre fünf Geschwister leben noch heute dort. Deshalb bin ich jeden Sommer und jedes Weihnachten auf die Pfirsichfarm meiner Onkel und zu meinen Cousins und Cousinen nach Alcarràs gefahren. Das mache ich bis heute so.

Wie sieht es in der Gegend aus?

Dieser Teil der Provinz Terres de Lleida ist sehr flach und im Sommer trocken und heiß. Aber gerade diese Kargheit war für mich als Filmemacherin interessant. Gleichzeitig ist es eine Landschaft, die stark vom Menschen geformt wurde: mit vielen Feldern, in denen Pfirsich- und Mandelbäume in schnurgeraden Reihen wachsen. Das hat auch seinen Reiz: Terres de Lleida ist nicht so überlaufen, und im Frühjahr, die beste Reisezeit für die Region, blühen die Pfirsich- und Mandelbäume für etwa zwei Wochen. Dann leuchten die Felder pink und weiß, das ist wunderschön. Man kann spezielle Touren zu diesen Blütenmeeren machen.

„Alcarràs“: Im Land der blühenden Pfirsiche

In Ihrem neuen Film geht es allerdings weniger um die schönen Seiten des Landlebens, sondern darum, wie eine Familie mit ihrem Hof ihre Lebensgrundlage verliert.

Ja, ich wollte zeigen, wie dramatisch sich die wirtschaftliche Lage der kleinen Familienbetriebe verändert, die anders als ihre Vorfahr:innen kaum noch vom Obstanbau leben können. Es ist eine Welt, die seit Jahrhunderten, sogar Jahrtausenden besteht und die nach und nach verschwindet. Die Initialzündung für diesen Film war der Tod meines Großvaters vor ein paar Jahren. Er hatte sein Land an meine Onkel vererbt. Auch für sie wird es immer schwerer, mit der Landwirtschaft Geld zu verdienen. Ich hatte das Bedürfnis, dieses Land und seine Bewohner:innen zu porträtieren: die Hitze des Sommers und das besondere Licht dort, die Menschen und der harte Job der Pfirsichpflücker:innen.

Haben Sie selbst diese schwere Arbeit auch einmal gemacht?

Ja, und die Schauspieler:innen aus „Alcarràs“ auch. Wir haben für diesen Film mit Laiendarsteller:innen gearbeitet, die alle aus Alcarràs und der Umgebung stammen. trotzdem hatte fast keiner von ihnen Erfahrung in der Landwirtschaft. Sie wollten wissen, wie sich diese Arbeit anfühlt, also haben wir alle einen Tag lang von morgens um sechs bis abends Pfirsiche gepflückt. Das war anstrengend in der Hitze, aber es fühlte sich gut an. Und wir alle haben viel dabei gelernt. 

Was zum Beispiel? 

Zum Beispiel, wie wichtig es ist, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, wann man die Früchte pflückt, weil sie sehr empfindlich sind und leicht verderben. Mein Co-Autor, Arnau Vilaró, stammt wie ich aus einer Familie von Pfirsichlandwirt:innen – aus Bellvís, nordöstlich von Alcarràs. Um das Drehbuch zu schreiben und während der Dreharbeiten haben wir eine Weile zwei Sommer in Alcarràs gewohnt, Zeit lang sogar in dem kleinen Haus auf der Farm meiner Onkel. Als ich mit den Schauspieler:innen in der Plantage arbeitete, sagte Arnau nur: Ach, nein danke, ich weiß schon, wie man Pfirsiche pflückt!

Kleiner Ort von großer Berühmtheit

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Stammen die Schauspieler:innen alle aus der Gegend?

Ja, zwei von ihnen kommen aus Alcarràs, die anderen stammen aus Soses, Almacelles, Puigvert, Bellpuig, Tàrrega und anderen Dörfern und kleinen Städten in Terres de Lleida. 

Dann sind sie dort jetzt wahrscheinlich ziemlich bekannt.

Ja, und vor allem ist Alcarràs jetzt eine kleine Berühmtheit. Es war bislang eigentlich kein Ort, an den sich normalerweise Tourist:innen verlaufen. Das hat sich in diesem Sommer verändert, als der Film in Spanien startete. Es sind schon viele Besucher:innen gekommen, die von der Geschichte berührt waren und wissen wollten, wie dieser Ort aussieht, den sie auf der Leinwand gesehen haben. 

„Alcarràs – Die letzte Ernte“ startet am 11. August 2022 in den deutschen Kinos.

Mehr über Carla Simón

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Carla Simòn wurde 1986 in Barcelona geboren, wo sie heute mit ihrer Familie lebt. Nach dem frühen Tod ihrer Eltern wuchs sie in der Region Girona im Norden von Katalonien auf. International bekannt wurde sie 2017 durch ihr autobiografisch geprägtes Spielfilmdebüt „Fridas Sommer“, der unter anderem den spanischen Filmpreis Goya erhielt. Ihr aktueller Film „Alcarràs“ handelt von der Familie Soler, die seit Generationen eine Pfirsichfarm führt und nun ihr Land verliert. 

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