Madeiras blühende Stadt: Zu Besuch in Funchal

Wie aus einer studierten Psychologin eine Korbflechterin wurde, das ist eine dieser Heimkehrer-Geschichten aus Funchal. Catarina Jesus heißt die Frau, die nach Lissabon auszog und 2006 zurückkehrte. Sie lernte das Korbflechten, „um mein Leben zu ändern und mehr Zeit für meine Töchter zu haben“.
Das Flechten ist tief verwurzelt auf dieser Insel, die grün ist, feucht und fruchtbar, wo die Weiden gut gedeihen, die das Rohmaterial liefern. Korbflechten war hier einst ein Männerberuf, Catarinas Antwort darauf heißt „Wicker - Innovating Tradition“. Aus Weidenruten werden bei ihr längst nicht mehr nur Körbe, sondern auch Taschen, Teller und Ohrringe. Aktuell arbeitet sie für die LVMH-Gruppe, zu der Louis Vuitton und Christian Dior gehören. Mehr wird nicht verraten.
Funchal, so scheint es, lässt die Menschen ziehen – und holt sie irgendwann zurück.
Funchal holt auf: Wieso die Stadt so wichtig für Madeira ist

Die Hauptstadt Madeiras, die fast die Hälfte der gut 250.000 Inselbewohner beheimatet, lebt vom und mit dem Atlantik, liegt näher am marokkanischen Essaouira als an Lissabon. Vom Meer aus erstreckt sie sich in einem Halbkreis in die Berge hinein, die Einheimischen bezeichnen Funchal deshalb als Amphitheater. Die Bucht ist die Bühne, auf die alles ausgerichtet ist. Die meisten Touristen kommen aber nicht wegen Funchal nach Madeira. Sie kommen wegen des Spektakels, das Berge, Flüsse und Täler im Rücken der Stadt veranstalten. Sie wandern entlang der Levadas, die seit dem 15. Jahrhundert gebaut wurden, um Wasser aus den regenreichen Bergen in den trockeneren Süden zu leiten, und die sich über die ganze Insel ziehen.
Sie durchqueren den üppigen Lorbeerwald, seit 1999 UNESCO-Welterbe. Sie erklimmen den Pico do Areeiro, den dritthöchsten Berg der Insel, der an klaren Tagen fantastische Aussichten bis auf die Nachbarinsel Porto Santo bietet. Oder sie schwimmen in den Naturbecken von Porto Moniz, die aus Vulkangestein geformt und stets mit frischem, kristallklarem Meerwasser gefüllt sind.
Doch Konkurrenz belebt das Geschäft. Und nicht nur Reisende haben erkannt, dass Funchal der perfekte Ausgangspunkt für dieses Spektakel ist. Auch viele Madeirer, die einst wie Catarina auszogen, kehren zurück. David Oliveira möchte mit seinem Label Bailha die Stickerei wiederbeleben. Der 30-Jährige studierte in Porto Architektur und arbeitete in Oslo, bevor er wieder nach Madeira fand – und zu seinen Wurzeln als Kind einer Familie von Stickerinnen. Bailha sieht er als Möglichkeit, das Kunsthandwerk „aus der Schublade auf die Straße zu bringen“, in Form von Stofftaschen und Shirts mit kleinen aufgestickten Reminiszenzen an die Insel: einer Banane, einer Strelitzie, einem tanzenden Paar in Tracht, einer Blumenverkäuferin.
David Oliveira zeichnet die Motive, die Stickerei übernehmen, ganz traditionell, Frauen. Die jüngste ist 57, die älteste 84. Für David sind sie das Herz von Bailha. „Unsere Mission ist es, den Stickerinnen mehr Wert zu geben, sie als Künstlerinnen und Koproduzentinnen zu sehen“, sagt er. „Ich glaube, nur so kann die Tradition überleben.“



Sehenswürdigkeiten in der Zona Velha von Funchal

Durch Menschen wie Catarina und David ist ein Geflecht aus Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Innovation entstanden. Und seit zwei Jahren steht das erste Luxushotel mitten im Zentrum, das Barceló Funchal Oldtown. Von seiner Dachterrasse fällt der Blick auf das Meer, das mittags flimmert und abends in die Farben der untergehenden Sonne getaucht wird. Im Hintergrund schmiegen sich kleine Häuser mit roten Ziegelsteindächern in die Hügel, nach Sonnenuntergang werden sie nur noch als Lichtpunkte zu sehen sein.
Nur einen kurzen Spaziergang vom Hotel entfernt liegt die Altstadt, die Zona Velha. In ihren engen Gassen riecht es nach Fisch und Zitrone, die Häuser sind schmal, ein-, zwei-, maximal dreistöckig und drängen sich dicht aneinander. Einige sind in den letzten Jahren renoviert worden, haben weiß, rosa oder gelb getünchte Fassaden und Fenster- und Türrahmen in Kontrastfarben. Wo sich Restaurants, Läden und Galerien aneinanderreihen, waren bis vor wenigen Jahren die Häuser verfallen, es gab kaum Beleuchtung, in den Gassen herrschten Drogenhandel und Prostitution.
Dann kam der Künstler José Maria Montero Zyberchema und initiierte sein Projekt namens „Arte de Portas Abertas“, Kunst der offenen Türen. Den Anfang machte er mit einer Eingangstür, die zum Bücherregal umgestaltet wurde, inzwischen sind fast alle Türen in der Rua de Santa Maria und auch in den umliegenden Straßen bemalt: hier eine „Heilige Maria“, da ein kleiner Prinz, eine Meerjungfrau, die auf dem Briefkastenschlitz einer alten Tür schaukelt.
Touristen kamen und mit ihnen die Sanierer. Lokale eröffneten, es wurde hell und bunt in den Gassen. In der Zona Velha liegt auch die historische Markthalle. Das Gebäude, das 1940 die modernistische Architektur in die Stadt brachte, ist ebenso schön anzusehen wie das exotische Obstangebot. Samstags ist Wochenmarkt, Bauern von der ganzen Insel verkaufen ihre Produkte im offenen Innenhof: Maracujas in Lila, Gelb und Orange, Mangos, Melonen, Pitayas, Bananen. Es sind sehr viele Bananen, denn die wachsen in und um Funchal überall. Und dann ist da noch die Deliciosa, die Köstliche, die Frucht der Monstera-Pflanze. Sie schmeckt wie eine Mischung aus Ananas und Banane, und man kann sie erst essen, wenn sie beginnt, ihre Schale selbst abzustoßen.
Funchal: Welche Pflanze der Inselstadt ihren Namen gab
Um 14 Uhr läutet eine Glocke das Ende des Markttages ein, das Aufräumen beginnt, die letzten Touristen werden aus dem Seiteneingang der Halle geschleust. Und landen mehr oder weniger direkt am Hafen, wo man lange am Meer spazieren kann, von Jugendstil-Kiosk zu Jugendstil-Kiosk, vorbei am Museum und der Statue von Cristiano Ronaldo, dem berühmtesten Sohn der Insel, bis zum Parque Santa Catarina. Der steile Aufstieg lohnt sich: Im Park eröffnet sich ein grandioser Blick über das Meer und die Stadt. Die Monstera-Pflanze mit riesigen Blättern wächst hier und die Strelitzie, die an einen Paradiesvogel erinnert und als Symbol Madeiras gilt.
Nur die Pflanze, die Funchal ihren Namen gegeben hat, ist nicht zu finden: Fenchel. Die Stadt ist so dicht besiedelt, dass der funcho nicht mehr wild gedeihen kann. Funchal ist begrenzt vom Meer und den Bergen, also wird es immer enger. Der Tourismus trägt seinen Teil dazu bei, ebenso wie der Zuzug digitaler Nomaden, den Madeira seit der Corona-Pandemie fördert.
Die Küche von Madeira

Was der Insel guttut, sind Besucher, die lokal konsumieren, zum Beispiel bei Filipe Janeiro. Der 32-jährige Portugiese hat Restaurantmanagement studiert, in Barcelona, Lissabon, Amsterdam und Christchurch gekocht und mit seiner Frau Adrianne Zino zusammen auf Bio-Bauernhöfen gearbeitet. 2018 zog das Paar nach Madeira, in das Haus, in dem Adrianne aufgewachsen ist, „um eine Familie und ein Unternehmen zu gründen“.
Die Familie räumte den ehemaligen Ballsaal des Hauses, eine Quinta aus dem Jahr 1932, baute eine Küche ein, und nun verbirgt sich in der engen Wohnstraße oberhalb von Funchals Zentrum ein einzigartiges Restaurant namens Gazebo. Der ehemalige Tanzsaal ist dekoriert mit Zweigen und Gräsern, Kinderzeichnungen und Kerzen. Aus einer Box kommt portugiesische Musik, die Teller werden auf dem offenen Tresen zwischen Gastraum und Küche angerichtet. Das Menü „Norte a Sul“ ist eine „kulinarische Reise von Norden nach Süden, die in sechs Momenten die Essenz madeirischer Produkte einfängt“, so verspricht es die Speisekarte. Die Produkte stammen von lokalen Bauern oder aus dem eigenen Garten. Das Fleisch wird von den Azoren importiert, das Olivenöl macht ein Freund von Filipe in Portugal. Den Couscous hat das Team von Gazebo zusammen mit einer Familie im Norden Madeiras hergestellt.
Nur wenige produzieren die Getreidekügelchen noch traditionell von Hand, erzählt Filipe, als er an den Tisch kommt. Er schwärmt von der lokalen Küche, die sich von der auf dem Festland unterscheidet: „Als Insel im Atlantik hat Madeira Einflüsse aus vielen Teilen der Welt aufgenommen, von der südamerikanischen Süßkartoffel über die Banane bis hin zum ursprünglich nordafrikanischen Couscous. Damit kann man wunderbar spielen.“