Trento Ist das die beste Stadt Italiens?
Ein Museum wie eine Arche: Im Atrium des MUSE schweben die Vögel über den Besuchern, auch Tiere wie Wolf und Elch werden in der jeweiligen Höhe ihres Lebensraums gezeigt.
Als das MUSE im Sommer 2013 eröffnet wurde, staunte ganz Italien. Stararchitekt Renzo Piano entwarf das futuristisch anmutende Wissenschaftsmuseum: Riesige Dachpaneele ragen in unterschiedlichen Neigungen gen Himmel – die Berge um Trento inspirierten den Architekten. Und alles in dem Museum folgt Pianos Prinzip der Schwerelosigkeit. »Viele von uns haben noch die Vorstellung, dass Forschung hinter verschlossenen Türen gemacht wird. In so einem hellen, offenen Gebäude wird auch die Wissenschaft zugänglicher«, schwärmt Lucilla Galatà.
Die 35-jährige Süditalienerin zeigt auf den offenen Bereich in der Mitte: Kaum zwei Meter neben ihr schwebt ein Adler mit weit ausgebreiteten Flügeln. Der präparierte Vogel ist an einem fast unsichtbaren Stahlseil befestigt, das sich von der Decke bis ins unterste Stockwerk des Atriums spannt – ein Seil von vielen, an denen die Tiere, je nach Höhenlage ihres Lebensraums, im Raum schweben, zwischen den multimedialen Stationen und Spielen auf den lichtdurchfluteten Etagen. »Der Rundgang im Museum ist einem Berg nachempfunden«, sagt Lucilla. »Vom Hochgebirge oben geht es bis hinunter ins Tropenhaus.«
Das MUSE ist Trentos Aushängeschild, eine halbe Million Besucher streifen jedes Jahr durch das Haus. Es steht symbolisch für den zukunftsorientierten Charakter der größten Stadt der Provinz – und liegt gleichzeitig Seite an Seite mit ihrer prächtigen Geschichte. Deutlich wird das von der Dachterrasse des Museums, dem Berggipfel sozusagen, von dem aus man Trento und Umgebung überblickt: Die Spitzen des Dachs konkurrieren im Westen mit dem langgezogenen Bergmassiv Monte Bondone, Trentos Hausberg, im Osten türmt sich der Marzola auf. Und von der Nordseite der Terrasse schaut man direkt auf den herrlichen Renaissancepalast Palazzo delle Albere gleich neben dem Museum.
Über die Gassen der Altstadt ragen der Torre Civica und der Campanile di San Romedio.
Den neuen Bau der Fakultät für Rechtswissenschaft entwarf Stararchitekt Mario Botta.
»Trento mag auf den ersten Blick wie eine alte Stadt wirken, für mich ist sie moderner als andere italienische Städte. Hier gibt es viele innovative Lösungen«, sagt Lucilla Galatà – nicht nur für die Stadt selbst. Die Naturwissenschaftlerin kümmert sich im MUSE etwa um die Themen der von den Vereinten Nationen ausgerufenen Agenda 2030 für weltweit mehr Nachhaltigkeit. »Warum sollte ein Museum, in dem Dinosaurierskelette ausgestellt sind, nicht auch der Ort sein, an dem man über die Zukunft spricht?«
Das neue Quartier Le Albere entstand nach Plänen von Renzo Piano auf dem Gelände einer alten Reifenfabrik.
Auch im Norden der Stadt wird über das Trento von morgen nachgedacht. Die Keimzelle der kreativen Szene ist das Viertel San Martino – ausgerechnet eines der ältesten Quartiere der Stadt. Jahrhundertelang war das Viertel die Heimat der Flößer und Bootsführer, bis 1958 verlief die Etsch noch parallel zur Via San Martino, hier gab es einen der zwei Stadthäfen. Aber als der Fluss vom Zentrum weg und in Richtung Westen verlegt wurde, verlor San Martino an Bedeutung.
Nun bekommt der Stadtteil sie zurück – durch Menschen wie Federico Zappini. 2018 eröffnete er mit Elisa Vettori die Libreria Due Punti, die mehr als nur ein Buchladen sein soll. Die beiden Besitzer organisieren Vorträge, Poesielesungen oder Diskussionsrunden. Und vermieten den Raum nebenan gegen einen freiwilligen Beitrag an die Stadtbewohner – für Work- shops, Vereinssitzungen oder Sprachkurse.
»In den letzten Jahren bewegt sich hier im Viertel einiges«, sagt Zappini. »San Martino war immer ein Ort des Austauschs, der Kreativität und des Handwerks. Das ist im urbanen Gewebe erhalten geblieben.« Gleich neben der Libreria liegt eine Bar, keine Hundert Meter weiter eine Kunstgalerie, und im Kulturcafé »Bookique« um die Ecke gibt es Livemusik, Poetry-Slams und Cocktails. Ein Hipster-Ort sei San Martino aber nicht, betont Zappini, »sondern ein Volksviertel mit einer angeborenen Neigung zu Zusammenarbeit und Kreativität.« Die Einwohner, allen voran die Organisatoren des beliebten Künstlerfestivals Il ume che non c’è – »Der Fluss, der nicht da ist« –, hätten diese Spur vor über zehn Jahren wieder aufgenommen, um damit die Zukunft des Quartiers zu gestalten.
Trentos Dynamik beobachtet der umtriebige Buchhändler schon eine ganze Weile, jahrelang arbeitete er in verschiedenen Sozialprojekten. Sein Resümee: »Ungefähr alle 30 Jahre ändert sich das Gesicht der Stadt.« Zuerst sei sie eine relativ arme Provinzstadt gewesen, dann kam langsam die Industrie, ab Mitte der neunziger Jahre habe sich Trento zu einer richtigen Studentenstadt entwickelt. So langsam sei es Zeit für eine neue Transformation, findet Zappini, auch wenn es sich hier sehr gut lebt. »Warum nicht die Messlatte höher setzen und überlegen, wie wir uns das Trento von morgen vorstellen?« In seinem Buch »La Trento che vorrei« – »Das Trento, das ich mir wünsche« –, das Federico Zappini mit Alberto Winterle veröffentlicht hat, lauten die Zukunftsvisionen von 25 Stadtbewohnern: mehr Mut, mehr Vorstellungskraft und mehr Bürgerpartizipation.
Zappinis persönlicher Wunsch: ein Trento, das seine ganz eigene Identität findet und sich nicht an Großstädten wie Bologna oder Mailand orientiert. Er hofft auf ein dichteres Netzwerk, eine »verbundene« Stadt. »Unsere Buchhandlung versucht im ganz Kleinen, ein Knotenpunkt dafür zu sein.« Er glaubt an die kreative Energie seiner Stadt: »Sie ist noch im Untergrund. Aber sie wird spürbar stärker und hat die explosive Fähigkeit, Trento zu verändern«, sagt er überzeugt und rückt seine Hornbrille zurecht. Dann könne Trento gerade dank seiner überschaubaren Größe zu einem interessanten urbanen Experimentierfeld werden, meint Zappini. Zu einem Labor mit allerhöchster Lebensqualität.