Am Rand der Welt: Das verwunschene Tasmanien

Es zieht immer mehr Festland-Australier nach Tasmanien und deren Beweggründe überzeugen auch Urlauber: vielseitige Natur, angenehme Temperaturen und das schöne Gefühl, irgendwie außen vor zu sein. 
Text Eva Biringer
Datum15.10.2025

Ende der Neunziger habe seine Entscheidung noch für allgemeine Verwunderung gesorgt. Vom australischen Festland nach Tasmanien ziehen? „Letzteres galt damals noch als Australiens heruntergekommener Hinterhof. Heute beneiden mich viele darum, dass ich hier lebe“, sagt Joshua Isles. „Oder sie eifern mir nach.“ Isles, ein sportlicher Mann, heute mit grau meliertem Bart, ließ vor fast 30 Jahren die Zwei-Millionen-Stadt Perth zugunsten des weiten Lands hinter sich. Bloß, dass sein Land eine Insel ist, genau genommen Australiens kleinster Bundesstaat, meerumschlungen – und ungefähr so groß wie Irland. 

Immer schon habe er die Berge geliebt, weswegen Isles zunächst in die Blue Mountains bei Sydney zog, bevor er mit Anfang zwanzig den Sprung über die Bass-Straße wagte, jene Meerenge, die das Festland von Tasmanien trennt. Vier Jahre lang lebte er in der zweitgrößten Stadt Launceston und siedelte dann in die Hauptstadt Hobart um. „Immobilien waren damals spottbillig“, sagt Isles, „meine Freunde und ich arbeiteten als Ranger, aber selbst wir konnten uns ein Haus leisten.“ Obwohl die Preise inzwischen deutlich gestiegen sind, folgen mehr und mehr Isles’ Beispiel und lassen das heiße, teure und in den Städten überfüllte Australien hinter sich, um auf dem Land zu leben. Für sie gibt es sogar eine eigene Bezeichnung: tree changer, weil sie dorthin wechseln, wo mehr Bäume sind.

Alles viel entspannter in Tasmanien

In Europa weitestgehend unbekannt, in Tasmanien das wichtigste Stück Kultur: das Museum of Old and New Art.

Zu Tasmanien fällt vielen nur der Tasmanische Teufel ein, das Beuteltier, das schon lange nicht mehr auf dem Festland anzutreffen ist und ausschließlich auf dieser Insel vorkommt. Die 240-Kilometer-Distanz übers Meer verschafft den Räubern mit den markanten Eckzähnen einen Lebensraum ohne Konkurrenzdruck durch andere Arten.

Weniger Konkurrenzdruck und überhaupt alles viel entspannter, so scheinen es auch die menschlichen Bewohner Tasmaniens zu mögen. Statt Teslas oder BMWs sind hier nahezu nur verbeulte Karren unterwegs, weil Autos lediglich Gebrauchsgegenstände sind. Auch modisch gehen es die Bewohner von Hobart und Launceston gelassener an als jene in Melbourne oder Sydney. Und obwohl die Entfernung zum riesigen Mutterland gar nicht so weit ist, zeigt sich sogar Tasmaniens Klima ganz anders: kühler, nasser, wechselhafter; gut möglich, dass man innerhalb weniger Stunden sämtliche Jahreszeiten durchlebt. Ins Schwitzen kommt man Isles zufolge selten: „In Australien geht teilweise nichts ohne Klimaanlage, auf Tassie ist es selbst im Hochsommer angenehm.“ Angesichts des Klimawandels ein schlagkräftiges Argument. 

Als Ranger für den Tasmanian Park Wildlife Service lebt Isles abwechselnd in Hobart und auf Bruny Island, der Insel vor der Insel, im Südosten Tasmaniens gelegen, mit gerade mal 500 Einwohnern. Aber die größte Anziehung haben für Isles immer noch die Berge: „Auch in Australien gibt es Berge, aber nicht solche wie Hobarts Hausberg, den 1.271 hohen Mount Wellington, oder den Mount Oberon, wo ich als Bergwart tätig bin.“ Der sei allerdings nur was für Profis.

Dass Tasmanien als Wohnort an Beliebtheit gewinnt, habe auch mit der Begeisterung für Kultur zu tun. Ersichtlich etwa am Museum of Old and New Art, von dem in Europa nur die wenigsten gehört haben dürften, obwohl es alle großen Namen zeitgenössischer Kunst versammelt. „Das MONA brachte nicht nur Arbeitsplätze mit sich, sondern auch eine gewisse Coolness. Die Kunst ist edgy und das jährlich stattfindende Festival ziemlich speziell“, sagt Isles, weil es auf experimentelle Weise Genregrenzen überschreite, an außergewöhnlichen Orten stattfinde und das Publikum einbinde. Und natürlich spreche auch die gute Anbindung an den Rest der Welt für Tasmanien: „Für sechzig Dollar können Sie zu einem Konzert nach Melbourne fliegen.“ Und mit dem schnellen Internet sei Remote-Arbeit selbstverständlich. 

„Es gibt Badestrände und Gletscher, Regenwälder und „Herr der Ringe“-artige Auenlandschaft”

Was auf der Speisekarte der Agrarian Kitchen steht, wächst vorher in den hauseigenen Beeten.

Aber das größte Argument ist sicherlich die zu einem Drittel unter Schutz stehende, abwechslungsreiche Natur. Es gibt Badestrände und Gletscher, Regenwälder und „Herr der Ringe“-artige Auenlandschaft. Wer vom entspannt-pittoresken Hobart mit seinem Hafen gen Norden fährt, passiert Hügel und Moore, sattgrüne Nadelwälder und weite Ebenen. Immer mal wieder kreuzen Wombats und Wallabys den Weg. Das im Norden gelegene Launceston hat etwas von einem verschlafenen englischen Fischerdorf. Vom überschaubaren Zentrum sind es nur wenige Kilometer in die Cataract Gorge, eine beeindruckende Schlucht mit Hängebrücken und Badesee, die vielen Einheimischen als Outdoor-Wohnzimmer dient. 

Für einen tree change gilt natürlich auch, was bei einem Wechsel von Berlin nach Brandenburg zählt: Die Lebenshaltungskosten sind sehr viel geringer, Baugrund und Immobilien noch immer günstiger als auf dem Festland. Davon profitierten auch Rodney Dunn und Séverine Demanet, die sich während eines Urlaubs in ein halb verfallenes Herrenhaus in der Nähe von Hobart verliebten und dafür Sydney den Rücken kehrten. Der von einer Farm im Bundesstaat New South Wales stammende Dunn fand in der Ferne zurück zu seinen Wurzeln: Er ist gelernter Koch, arbeitete später viele Jahre als Gourmet-Traveller-Redakteur und nun im Garten seiner Agrarian Kitchen, einer Kreuzung aus Kochschule, kulinarischem Labor und Farm-to-Table-Restaurant. Der Endvierziger schwärmt von den extra-fetten Avocados seiner Wahlheimat und den schwarzen Trüffeln, bestens geraten durch die strengen Winter: „Die Entscheidung, hierher zu ziehen, war durchaus beeinflusst von den fantastischen Lebensmitteln, dem landwirtschaftlichen Potenzial und der Innovation der Produzenten. Wegen der Abgeschiedenheit und der hohen Transportkosten sind diese gezwungen, neue Wege zu gehen. Ein Freund hat gerade mit dem Anbau von weißem Spargel begonnen.“ Er selbst baut unter anderem Radieschen, Tomaten, Pfeffer, Passionsfrüchte und japanische Sudachi-Limetten an.

Tasmanien: Der perfekte Ort, um ein neues Leben zu beginnen

Der Southwest-Nationalpark mit der Western Arthurs Traverse ist ein anspruchsvolles Wandergebiet.

Tasmanien ist ein Food-Paradies. Wenn das Vieh ganzjährig auf saftigen Wiesen grast, schmecken Butter, Eiscreme und Käse eben noch mal besser. Es gibt Trüffeln und Austern von allerhöchster Qualität, vom gemäßigten Klima geprägte Weine, Whisky und Apfelcider. „Wir haben allein 150 Gin-Destillerien“, berichtet Craig Will. Sein in Launceston gelegenes Restaurant Stillwater feiert die Produktqualität der Insel mit Rindfleisch und Milchprodukten aus Deloraine, mit der salzig-süßen Seeschnecke Abalone oder Roter Felsenlanguste, die er mit Roggenblinis und Macadamia-Creme serviert. „Als ich vor fünfundzwanzig Jahren meine Kochlaufbahn begann, war Tasmanien lediglich ein Australien-Anhängsel. Seit etwa fünfzehn Jahren nimmt der Tourismus merklich zu, außerdem ziehen viele vom Festland her. Launceston ist für mich ein magischer Ort. Ich fühle mich privilegiert, hier zu leben.“ 

Klingt nach dem perfekten Ort, um ein neues Leben zu beginnen? Bei dieser Art von Euphorie wird Joshua Isles hellhörig: „Manche gehen einer Wildlife-Inszenierung in den sozialen Medien auf den Leim und kommen mit völlig falschen Erwartungen hierher. Dann beschweren sie sich über den lausigen öffentlichen Nahverkehr und die schlechte medizinische Versorgung, darüber, dass es kalt ist im Winter und die Geschäfte sonntags geschlossen haben. Oder sie kaufen eine Farm, obwohl sie von Landwirtschaft überhaupt keine Ahnung haben. Wir wussten damals wenigstens, dass es nur drei Bars gibt.“ Schade findet es der 47-Jährige auch, wenn Australier vom Festland fliehen, nach dem Motto „Hauptsache, weg“, anstatt sich bewusst für Tasmanien zu entscheiden. Denn so viel sollte klar sein: Gründe dafür gibt es genug. 

Vier Insider-Tipps für Tasmanien

Vier Insider-Tipps für Tasmanien

Hofrestaurant The Agrarian Kitchen

Rund 35 Kilometer von der Hauptstadt Hobart entfernt befindet sich diese charmante Kombination aus Begegnungsort, Kochschule, Farm-to-Table-Restaurant und Café. Séverine Demanet und Rodney Dunn wurden 2007 in Tasmanien sesshaft, gründeten zunächst eine Kochschule samt Farm, um acht Jahre später das jetzige, im 19. Jahrhundert errichtete Gebäudeensemble zu erwerben, umgeben von einem 5.000-Quadratmeter-Garten. Von Freitag bis Sonntag erwartet die Gäste ein täglich wechselndes 14-Gänge-Menü, darunter Radieschen mit Saubohnenmiso, Streifenbarsch mit Kartoffeln und Blutpflaumen mit Meringue und Kefircreme. Die allermeisten Zutaten stammen aus dem Garten, der Rest von tasmanischen Produzenten.

theagrariankitchen.com

Tiefgründige Kunst: Museum of Old and New Art

Als „subversives Disneyland für Erwachsene“ bezeichnet sich das auf einer Insel vor Hobart gelegene MONA. Erbaut wurde es vom Mathe-Genie und Glücksspielunternehmer David Walsh. Ein Großteil der Ausstellungsfläche – insgesamt fast doppelt so groß wie die des New Yorker Guggenheim – befindet sich siebzehn Meter unter Tage. Einmal hinabgestiegen, ist Verlorengehen eine echte Option, es gibt nämlich keine festgelegten Wege. Die Kunstobjekte kommen ohne Hinweisschilder aus, stattdessen bietet eine App Hilfestellung. Zur Sammlung gehören einige James-Turrell-Installationen, eine schummrige Grabkammer mit einem mehrere Meter tiefen Wasserbecken (in das schon Besucher hineingefallen sein sollen) und ein die menschliche Verdauung nachahmender Apparat.

mona.net.au 

Lachsfarm 41 Degrees South

Einen besonders weiten tree change hat Ziggy Pyka hinter sich gebracht. Der Ruhrpottler kam 1994 mit Frau und Kindern, aber ohne Englischkenntnisse nach Tasmanien. Spottbillig erwarb er ein vierzehn Hektar großes Gelände im nördlich gelegenen Red Hills, auf dem er heute eine Lachsfarm betreibt. Beim Spaziergang durch den dicht bewachsenen Dschungel berichtet der Auswanderer von der Faszination seiner Wahlheimat: „Weder damals noch heute hätte ich mir in Deutschland etwas Derartiges leisten können. In den Neunzigern war hier tote Hose.“ Inzwischen läuft das Geschäft gut. Neben der Fischzucht und der Herstellung von Lachsrillette, Salatdressings & Co. pflanzt Pyka Ginseng an und betreibt ein Café. Was er an seiner alten Heimat vermisst? „Den deutschen Wald. Deswegen habe ich hier Linden, Buchen und Kiefern angepflanzt.“ 

41southtasmania.com.au 

Delikatesstour: The Truffle Tour

Anna Terrys wichtigste Mitarbeiter sind jene mit vier Pfoten, kein Wunder, dass sie eigene Instagram-Accounts haben. Golden-Retriever-Rüde Doug und Mischlingshündin Peggy durchwühlen die Erde zwischen rund 7.000 Eichen auf der Suche nach dem schwarzen Gold. Gegründet wurde Tasmaniens erste, in Deloraine gelegene Trüffelfarm von Terrys Eltern – mit aus Europa importierter Ware. Den ersten Ertrag lieferte der Betrieb 1999 nach zehnjährigem Experimentieren. „Frei wachsende Trüffeln gibt es in Tasmanien nicht“, verrät Terry. Stattdessen werden die Bäume mit Trüffelsporen geimpft, nach fünf bis zwölf Jahren wachsen daraus schwarze Sommer- und Wintertrüffeln. Neben einem Shop bieten Geländetouren und eine Trüffelsuche mit anschließendem Kochkurs einen weiteren Anreiz zum Besuch. Highlight: die Pizza mit Crème fraîche und großzügig darüber gehobeltem Trüffel. 

thetrufflefarmtasmania.com.au