Hitzefrei: Was es mit dem Trend Coolcation auf sich hat

Mit der Urlaubstemperatur ist es wie mit so vielem: Das richtige Maß macht glücklich. Nur halten viele Traumziele dieses Maß nicht mehr, sie sind im Sommer zu heiß und zu voll. So macht sich ein erfrischender Trend breit, und dieser Trend heißt Coolcation.
Text Mila Krull
Datum04.07.2025

Es ist so eine Sache mit den Rekorden. Geht es um menschliche Errungenschaften der Kategorie „höher, schneller, weiter“, ernten Spitzenwerte meist viel Anerkennung. Beim Wetter mischt da immer auch eine gewisse Sorge mit. 2024 wurden im Süden Europas wieder reihenweise Temperaturrekorde gebrochen, Mitte Juli kletterte die Oberflächentemperatur des Mittelmeers auf 28,9 Grad – so hoch wie nie zuvor. 

Ideales Badewannenwasser und dazu gerne mal 40 Grad plus. Beides hält die Menschen nicht von den Küsten fern: Wer etwa im August die Küstenstraße an der Côte d’Azur entlangfährt, findet weder einen Ort zum Parken noch einen ruhigen Platz am Strand – es sei denn, dieser ist privat. Viele Reisende packt die Sehnsucht nach einem Sommerurlaub, der in jeder Hinsicht weniger überhitzt ist, und da jede Tendenz beim Reisen zum Trend, zu einer „cation“ erklärt wird, gibt es auch für diese Sehnsucht das passende Wort: Coolcation, also die Kombination aus „cool“ und „vacation“.

Erfrischende Sommerziele: Hier wird der Coolcation-Traum wahr

Das Sommerfrische-Original! An den Bergseen ist der Sommer ein großer, abwechslungsreicher Genuss.

Um die 25 Grad sind zur Sehnsuchtsmarke geworden, Destinationen, die Wärme, Erholung, aber auch Erfrischung versprechen, liegen immer mehr im Trend. In Skandinavien etwa legt der internationale Tourismus kräftig zu. Ein Sommer in den schwedischen Schären mag auch mal ein, zwei Tage verregnet sein, die Sonnentage dort lassen dafür sehr viel mehr zu als am Mittelmeer – weil es angenehm warm, aber selten heiß und weil an den teils traumhaft schönen Buchten sehr viel mehr Platz ist. 

Auch Finnland und Norwegen werden immer beliebter mit ihren Seen, Wäldern und Fjorden. Das Baltikum, Österreich, Großbritannien und die Atlantikküste werben mit Coolcation-Erlebnissen wie Wildschwimmen und Waldbaden. Und außerhalb von Europa zieht es Urlauber in die Gletscherwelten von British Columbia, Alaska und Patagonien – und damit nicht nur in die Sommerfrische, sondern auch in Ökosysteme, denen es noch vergleichsweise gut geht. 

Das Problem mit dem Mittelmeer – und Alternativen

Das Mittelmeer wird als „Hotspot des Klimawandels“ bezeichnet, als Binnengewässer erwärmt es sich schneller und stärker als andere Meere. Für die Ökosysteme über und unter Wasser und viele Anwohner ist das eine Katastrophe. Steigende Lufttemperaturen und geringe Niederschläge befeuern die Verdunstungsrate, die Unwetter, Hitzewellen und Dürreperioden begünstigt. Klimaforschende erwarten an den Küsten Italiens, Spaniens, Frankreichs, Griechenlands, Marokkos und Ägyptens in absehbarer Zeit annähernd karibische Verhältnisse.

Es liegt nahe, vom Mittelmeer in gemäßigtere Zonen auszuweichen, statt die sprichwörtlichen Hotspots aufzusuchen. Inzwischen scheint Coolcation nicht mehr nur ein gefühlter Trend und ein eingängiger Marketingbegriff zu sein, sondern auch für Forscher messbar. Wissenschaftler des Europäischen Joint Research Centre (JRC) haben die Touristenströme und klimatischen Gegebenheiten der letzten 20 Jahre in 269 europäischen Regionen untersucht und anhand dieser eine Prognose für den Zeitraum von 2035 bis 2071 aufgestellt: „Wir stellen ein klares Nord-Süd-Muster bei der Veränderung der touristischen Nachfrage fest, wobei die nördlichen Regionen vom Klimawandel profitieren und die südlichen Regionen mit einem erheblichen Rückgang der touristischen Nachfrage konfrontiert sind“, heißt es im Fazit der Studie.

Coolcation: Die Tradition der Sommerfrische

Werner Gamerith, Professor für Regionale Geographie mit Schwerpunkt Tourismus an der Universität Passau, sieht ebenfalls Anzeichen für die neue Sommerfrische: „Ich denke, dass es zwangsläufig zu Umlagerungsprozessen kommen wird.“ Nicht nur die skandinavischen Länder, auch einige Alpenregionen hätten den Begriff in den vergangenen Monaten erfolgreich geprägt. Im Alpenraum hat die sommerliche Flucht in höhere Lagen und an die kühlen Bergseen überdies eine lange Tradition. Gerade Adlige und wohlhabende Städter suchten mit ihren Familien oft über Monate Erfrischung auf dem Land, um den teils drückenden Verhältnissen in Städten und Tälern zu entkommen. „Sommerfrische“ wurde zum Prädikat und frühen Marketingkonzept für Regionen wie das Salzkammergut und Tirol. Und erlebt heute ein Revival. Aber auch seitens der Mittelmeerregionen selbst ist das Interesse groß, den strapaziösen Hochsommer zu entzerren und Reisende mehr in die Nebensaison zu lenken. 

Der Reiz des Nordens: ruhige Küsten und spiegelglatte Seen

Die Stockholmer Schärengärten kommen nah ran an die traumhaften Bilderbuchkulissen von Astrid Lindgren.

Dass das Mittelmeer schon zeitnah wirklich nennenswert mit Atlantik, Nord- und Ostsee konkurrieren muss, bezweifelt Werner Gamerith allerdings: „Ich denke nicht, dass es eine völlige Abkehr vom Mittelmeerraum geben wird. Aus mitteleuropäischer Perspektive ist und bleibt er das Urlaubsziel Nummer eins.“ Dafür sieht er mehrere Gründe: Länder wie Italien, Frankreich und Spanien blicken auf eine lange Historie als romantisierte Reiseziele zurück. Bücher, Filme und andere Medien haben die Sehnsucht nach dem mediterranen Lebensgefühl über Jahre, ja Generationen manifestiert. 

Auch die Gewohnheit spielt eine Rolle. Wer schon als Kind die Alpen in Richtung Riviera oder Adria überquert hat, will diese Erinnerungen meist mit den eigenen Kindern teilen. Als weiteren Pull-Faktor sieht Gamerith die gut ausgebaute touristische Infrastruktur in vielen Mittelmeerdestinationen. Im Norden hingegen ist die Auswahl an Hotels, Unterkünften und Restaurants oft deutlich kleiner, das Preisniveau dementsprechend höher.

Trotzdem werden kühlere Destinationen immer attraktiver. Statt voller Strände und Kreislaufwetter bieten sie menschenleere Küstenabschnitte, Lodges mitten in der Natur und spiegelglatte Seen. Diese Bilder sorgen im wahrsten Sinne für viel frischen Wind auf dem Tourismusmarkt. Immer mehr Menschen entdecken den Reiz der Kühle und mit ihm neue Reisearten: Alpenwellness, Ostsee-Kreuzfahrten, Trekkingurlaub oder Hausbootferien sind sehr beliebt.

Schottland als Coolcation-Ziel

Schottland kristallisiert sich mehr und mehr als 1A-Coolcation-Reiseziel heraus.

Über hohe Buchungszahlen freut man sich etwa in Schottland. Mit fast zwei Millionen internationalen Touristen im ersten Halbjahr 2024 konnte das Land einen neuen Besucherrekord verzeichnen. „Aufgrund des gemäßigten ozeanischen Klimas wird es im Winter selten extrem kalt und im Sommer selten heiß“, sagt Juliane Frank von Visit Scotland. Urlauber würden vor allem die vielfältigen Landschaften, die reiche Geschichte und Kultur des Landes sowie die schottische Gastfreundschaft schätzen. Darüber hinaus erfüllt Schottland mit seinen rauen Küsten und den tiefblauen Seen alle Kriterien als Coolcation-Destination.

Zeitgleich wächst das Angebot an passenden Urlaubsaktivitäten. So stehen statt Sightseeing und Sonnenbaden zunehmend Unternehmungen wie River Floating und Wildschwimmen auf dem Programm. Auch immer beliebter ist das Canyoning. Beim Schluchtenwandern durchqueren Abenteuer-Affine gemeinsam mit einem Guide die Wasserwelten von Madeira oder der schottischen Highlands. Ausgerüstet mit Helm und Klettermontur, geht es zum Beispiel durch den Inchree Falls Canyon rund 160 Kilometer nördlich von Glasgow. Unterwegs können die Besucher in erfrischende Naturpools springen, Hänge hinunterrutschen oder sich von rauschenden Wasserfällen abseilen. Das Angebot richtet sich nicht nur an Outdoor-Profis, sondern ist in abgeschwächter Form auch für Einsteiger und Familien machbar. Und dass die schottischen Wassertemperaturen selten mehr als 15 Grad erreichen, ist dank der Neoprenanzüge kein Problem. 

Wem es dann doch mal zu kalt wird, den bringen Wildsaunen, Ferienhäuser mit Whirlpools und gemütliche Pubs schnell wieder auf warme Gedanken. Alternativ, meint Juliane Frank, möge man sich ein schottisches Sprichwort ins Gedächtnis rufen: „Wenn Ihnen das schottische Wetter nicht gefällt, warten Sie 30 Minuten, und es wird sich ändern.“

Übrigens: Weitere Coolcation-Reiseziele haben wir hier für Sie zusammengestellt.