Cáceres ist ein mittelalterliches Schmuckstück im weiten Westen Spaniens. Eine altehrwürdige Schönheit mit überraschend jungen Seiten: Hinter den dicken Sandsteinmauern warten moderne Kunst und hochkarätige Sammlungen.
TextFranz Lenze
Am Abend, sagen Cáceres’ Bewohner:innen, sei der Blick von der Torre de Bujaco am schönsten. Wenn die sinkende Sonne die wellige Landschaft der Extremadura in warmes Licht taucht und durch den orange leuchtenden Riesenball Schwärme von Störchen ziehen. Vielleicht haben sie recht.
Im Moment ist es elf Minuten nach zehn, ein Morgen in Spaniens Westen, und die Aussicht auch jetzt schon prachtvoll: Unten, direkt zu Füßen des knapp 25 Meter hohen Turms, liegt die Plaza Mayor, das Herz der Altstadt, der große Platz mit seinen Arkaden, Restaurants und Cafés. In einer Ecke Buchstaben aus Metall, die das Wort Cáceres bilden: Ein paar Kinder toben darauf herum, die Arme weit ausgebreitet, seht her, hier sind wir, und ihre Eltern knipsen mit dem Handy Fotos.
Von hier oben schaut man auf die ockerfarbenen Dächer ringsum, erkennt die unzähligen Herrenhäuser, die sich fast unwirklich wie in einem Miniaturwunderland über- und hintereinanderreihen.
Links der Palast von Toledo-Moctezuma, weiter hinten die Catedral de Santa María aus dem 15. Jahrhundert und der 6000 Quadratmeter große Palacio de los Golfines de Abajo. Dazwischen krumme Gassen, meterhohe Palmen, jahrhundertealte Torbögen. Ein unglaubliches Panorama. Kein Wunder, dass die Stadt seit 1986 UNESCO-Weltkulturerbe ist.
Cácares Sehenswürdigkeiten: Palacio de las Cigüeñas
Also runter von der Torre de Bujaco, um die Stadt zu erkunden. Der Name Bujaco erinnert an Abu Yaqub, den Emir der Araber, der mit seinen Truppen die Stadt sechs Monate lang belagerte, dann im März 1173 eroberte und hernach seine Widerstreiter an den Mauern des Turmes hinrichten ließ.
Ach, Cáceres! Fast 2100 Jahre alt, im Besitz der Keltiberer, der Römer und Westgoten, der Mauren und Portugiesen. Erst 1229 kann Alfonso IX. die Stadt endgültig für das Königreich León gewinnen. 1479 dann bestraft Isabella von Kastilien die kleine Stadt mit ihrem Zorn: Alle Adelsfamilien, die ihr nicht im Kampf um die Krone beigestanden hatten, müssen – welche Demütigung! – die Türme ihrer Paläste schleifen oder ihre Häuser gleich ganz abreißen. Seitdem trägt Cáceres auch den Beinamen „Enthauptete Stadt“. Als einer der wenigen hatte damals Diego de Ovando die Zeichen der Zeit erkannt: Der Hauptmann schlug sich rechtzeitig auf die Seite Isabellas, weshalb sich sein „Storchen-Palast“, der zinnenbewehrte „Palacio de las Cigüeñas“, bis heute mit dem höchsten Turm der Stadt schmücken kann.
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Durch die Stadt. Vorbei an Sandsteinmauern, an Häusern mit hohen Toren und schmalen Balkonen. Vor dem Convento de Santa Clara, erbaut 1614, stehen ein paar Mädchen im Kreis und tanzen. Gegenüber sitzen junge Leute im „Las Claras“, Wein oder Bier in der Hand, und lassen den Tag vorüberziehen. Um die nahe Plaza de las Veletas drängen sich die Herrenhäuser, gleich daneben das Museo de Cáceres, auf dem Balkon die spanische Flagge.
Ein Ort, der zeigt, warum die Stadt mehr ist als eine Mittelalterkulisse, die von endloser Landschaft umgeben ist. Das Gebäude stammt aus der Zeit um 1600, es gibt eine maurische Zisterne, Stelen aus der Bronzezeit, steinerne Tierfiguren, römische Mosaike und spanische Volkstrachten. Läuft man dann aber durch den kleinen Garten zur Sección de Bellas Artes, betritt man drei Säle, in denen Werke von Picasso hängen, von Tàpies, Barjola und Miró. Und in der unteren Etage das einzige Gemälde, das mit einer Kordel geschützt ist, damit man nicht nähertreten kann: El Grecos „Jesús Salvador“. Das Werk gehörte einst einer Nonne aus dem nahen Kloster Serradilla und lockt nun Kunstfreunde aus aller Welt in die winzige Stadt am Rande Spaniens.
Und das ist längst nicht alles. Calle Pizarro Nr. 8, nur fünf Gehminuten vom Stadtmuseum entfernt: Ein schmiedeeisernes Tor, dahinter erhebt sich ein Gebäude, eine Mischung aus historischem Palast und modernem Anbau, das Centro de Artes Visuales, die Stiftung der Kunstsammlerin Helga de Alvear.
Helga de Alvear, Tochter eines Industriellen aus dem Hunsrück, kam 1957 nach Madrid, um Spanisch zu lernen. Hier traf sie ihren zukünftigen Mann, einen Architekten, und kam in Kontakt mit Spaniens Kunstszene, der sie half, neues Leben zu spüren, damals nach der Franco-Diktatur, als das Land nach moderner Malerei dürstete, überhaupt nach frischen Ideen. Heute zählt sie, 86 Jahre alt und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, zur bedeutendsten Galeristin des Landes. Im Laufe ihres Lebens hat sie Abertausende Werke zeitgenössischer Kunst zusammengetragen, eine Schau, die sich selbst immer wieder übertrifft.
Und die anfangs, als die Sammlung noch lange nicht ihre heutige Strahlkraft hatte, niemand haben wollte. Sie tourte durch ganz Spanien, um eine Bleibe für ihre Kunst zu finden – vergeblich. Sie verhandelte mit vielen Orten, mit San Sebastián, mit Mallorca, einzig Cáceres sagte zu, weil der Präsident der Regionalregierung de Alvear sympathisch fand. Weswegen nun hier zwischen der mittelalterlichen Kulisse die Werke von Man Ray und Rebecca Horn zu sehen sind, von Helena Almeida und Imi Knoebel, Louise Bourgeois und Anish Kapoor.
Langsam senkt sich die Sonne über die Stadt, die weißen Häuser leuchten im warmen Licht um die Wette, und in der Calle Donoso Corte, gleich neben der üppigen Palme, öffnet gerade der „Belleartes. Espacio de Arte y Acción“, ein alternativer Ausstellungsraum, Treffpunkt für Künstler und Kunstliebhaber. Zwei schmale Räume, an den Wänden hängen grafische Arbeiten von zwölf Studenten der Hochschule für bildende Künste aus Cáceres. Vor einer Radierung steht bislang nur eine Frau – es ist erst kurz nach 19 Uhr, und der „Espacio“ hat bis Mitternacht geöffnet. Was empfiehlt sie Kunstliebhabern in Cáceres? Die junge Frau schiebt den Kopf in den Nacken. „Das Museo Vostell“, sagt sie. „Nicht weit, nur ein paar Kilometer von hier entfernt.“
Raus aus der Stadt, auf die N-521, ringsum Felder, Weite, am Horizont die graublauen Berge der Sierra de San Pedro. Nach kurzer Fahrt das Dorf Malpartida de Cáceres. Etwas außerhalb des Dorfes, vorbei noch an der Stierkampfarena, dehnt sich links eine hügelige Graslandschaft, vereinzelt Bäume, ein Feldweg. An seinem Ende die alte Wollwäscherei, Lavadero de Lanas, im 18. Jahrhundert erbaut. Im Oktober 1976 kaufte Wolf Vostell die Stallungen, fast 14.000 Quadratmeter Land. Der Maler, Bildhauer und Happening-Künstler, geboren 1932 in Leverkusen, hatte sich in Cáceres verliebt, in die Stadt, die Umgebung und in seine Frau, die er hier kennenlernte.
Heute verbirgt sich hinter den dicken Mausern eine außergewöhnliche Sammlung des Fluxus, dem querulanten Nachfolger des Dadaismus, eine Kunstrichtung, die sich dem Kunstbetrieb verweigert und alles mischt: Installationen, Musik, Literatur, Theater. Betritt man den ersten Saal, ist man mittendrin in Vostells Welt. Ein Auto, an dessen Flanken Besen montiert sind, beginnt zu arbeiten, im Hintergrund stehen unzählige Fernseher, es flimmert und rumort, an der Wand ein riesiges Gemälde, rot, eine Autotür, Tierknochen. Das Museum zeigt Werke von Nam June Paik, George Maciunas, Yoko Ono: Werke zum Nachdenken, politische Statements. Schließlich befand der Meister: „Ich erkläre den Frieden zur größten Kunst der Welt.“
Dann verlässt man das Museum, und vor einem erhebt sich auf einer grünen Wiese Vostells Säulen-Kunstwerk, zusammengeflickt aus den Resten einer MIG-21, zwei Autos und Computerbildschirmen. Ein Storch landet darauf und hockt sich in eines der Nester, die die Säule schmücken. Gekommen, um zu bleiben. Wie Vostell, der hier sein Glück fand.
MERIAN-Tipps für Cáceres
Cáceres ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in der Autonomen Region Extremadura, die in Spaniens Westen an Portugal grenzt. Die Stadt mit ihren knapp 100.000 Einwohner:innen zerfällt in die etwas reizlose Neustadt und den auf einem Hügel thronenden „Casco Viejo“, den alten Kern. Die von mittelalterlichen Mauern umgebene historische Altstadt zählt seit 1986 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Von Madrid aus ist Cáceres über die A5 in drei Stunden erreichbar.
Highlights in Cácares
Museo de Cáceres
Ein Muss auf der Sightseeing-Tour: Funde von der Steinzeit bis zu den Westgoten, Goldschmuck, Grabsteine, Ritzzeichnungen und eine arabische Zisterne im Keller. Das Stadtmuseum zeigt neben jahrhundertealten Entdeckungen auch die Werke großer Künstler – von Picasso über Barjola bis Miró. Höhepunkt: El Grecos „Jesús Salvador“.
Centro de Artes Visuales
Die Kollektion der deutschen Kunstsammlerin Helga de Alvear ist über Jahrzehnte gewachsen und umfasst Werke berühmter Künstler, Bildhauer und Grafiker. In Cáceres fand de Alvear, die in Madrid eine renommierte Galerie betreibt, ein Zuhause für ihre Sammlung.
Museo Vostell
Rund 14 Kilometer außerhalb von Cáceres liegt das Dorf Malpartida. Hier hat der Bildhauer und Maler Wolf Vostell in einer alten Wollwäscherei ein verspieltes Fluxus-Museum eingerichtet.
Hotels
Atrio
Ein alter Adelspalast, umgebaut von Spaniens Stararchitekten Emilio Tuñón und Luis Moreno Mansilla: Das Hotel Atrio liegt mitten in der Altstadt, und man blickt herrlich auf die mehr als 300 Jahre alte Iglesia de San Mateo. Im hauseigenen Restaurant kredenzt Zwei-Sterne-Koch Toño Perez neue Variationen der deftigen Extremadura-Küche.
NH Collection Cáceres Palacio de Oquendo
Ebenfalls ein einstiger Palast aus dem 16. Jahrhundert ist der Cáceres Palacio de Oquend im historischen Zentrum der Stadt. Die Zimmer sind elegant und modern ausgestattet. Ein Highlight ist die Terrasse an der Plaza de San Juan, auf der traditionelle Tapas serviert werden.
Restaurant-Tipps
La Cacharreria
Ohne Umschweife: „La Cacharreria“ ist eines der besten Tapas-Restaurants der Stadt. Ob Croquetas mit Datteln, die Secretos Ibéricos mit Paprika-Praline oder die Zucchiniblüten mit Schinken – jedes Gericht, das in dem alten Palast serviert wird, ist ein kulinarischer Traum. Abends (das Restaurant öffnet um halb neun), sollte man rechtzeitig da sein: Die Schlange davor ist lang, und Reservierungen sind leider nicht möglich.
Restaurante Oquendo
Cáceres’ Klassiker, abseits vom Trubel der Altstadt: Das „Oquendo“ hat sich seinen guten Namen mit traditionellen Gerichten der Umgebung erkocht – mit Blutwurst in Tomatensoße, mit Artischocken und Muscheln und natürlich mit Schinken vom Schwarzen Schwein.
El Figón de Eustaquio
Eine Institution der Regionalküche: Das Restaurant „El Figón“ ist seit 1947 in Familienbesitz, gekocht wird, was die Extremadura zu bieten hat: geschmortes Lammfleisch, Hirschragout, gegrilltes Schaf. Sowie die Sonne scheint und die Temperaturen angenehm werden, kann man auch draußen vorm Restaurant sitzen und beim Essen die Aussicht auf den schönen Platz genießen.
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