Die Medici, eine der einflussreichsten Familien der italienischen Geschichte, gelten gemeinhin als ausgestorben. Lorenzo de' Medici ärgert das, denn der letzte Medici fühlt sich noch sehr lebendig: MERIAN führte ein Gespräch mit ihm – über die Bedeutung seiner Vorfahren für die Stadt Florenz, aber auch über die Last des großen Namens.
TextBarbara Baumgartner
Datum 05.12.2022
„Ausgestorben“ – sagen die Leute in Florenz, wenn man nach der Familie der Medici fragt. Dabei gibt es noch einen von ihnen: Lorenzo de' Medici. Vor mehreren Jahrhunderten nahmen die Medici großen Einfluss auf die Stadt am Anno. Das ist nicht zuletzt sichtbar an der Medici-Passage und der Via Lorenzo il Magnifico, die nach der Familie benannt wurden. Im Mittelalter galt die Dynastie noch als sehr einflussreich und glamourös, heute scheinen die Florentiner:innen ihr keinerlei Bedeutung mehr beizumessen, so Lorenzo de' Medici. Im Interview gibt er spannende Fakten über seine Vorfahren preis und macht klar, was es heißt, ein Medici zu sein – der letzte seiner Art.
MERIAN: Don Lorenzo, mit welchem Gefühl gehen Sie durch Florenz?
Lorenzo de' Medici: Frustration. Florenz wäre nichts ohne die Medici – eine beliebige Provinzstadt. Seit 500 Jahren lebt man dort vom Erbe der Medici, aber unsere Familie erfährt keine Anerkennung. Eine kurze Medici-Passage, eine Via Lorenzo il Magnifico, was ist das schon? All die bedeutenden Mitglieder der Familie – der Stadtplan müsste voll sein mit ihren Namen.
Mit ihm begann die große Zeit der Medici: 1429 trat Cosimo de' Medici an die Spitze der Familie in Florenz – und formte aus der erfolgreichen Bankiersfamilie eine politisch einflussreiche Dynastie.
Auch eine Medici: Isabella von Bourbon. Sie war Prinzessin von Frankreich und wurde durch ihre Hochzeit mit König Philipp IV. von Spanien 1615 Königin.
Lorenzo de’ Medici sitzt in Jeans, Hemd und Turnschuhen auf dem Sofa seiner Wohnung in Barcelona, im Eingang hängt ein lebensgroßes Porträt von Isabella de’ Medici, einer entfernten Tante, gemalt im 17. Jahrhundert. „Hier in meiner Zweitwohnung in der Stadt habe ich noch ein paar Erbstücke, aber in meinem Haus in Sitges ist alles ultramodern. Ich könnte nicht zwischen Antiquitäten leben.“
Nicht nur Undankbarkeit wirft Lorenzo de' Medici Florenz vor: „In den Broschüren und Katalogen, die dort verkauft werden, steht überall: Die Medici sind ausgestorben. Treffen mich dann Leute, fragen sie sich: Woher taucht der denn auf?“ Er macht eine wegwerfende Handbewegung. „Ich bin daran gewöhnt. Aber man sollte die Dinge doch richtig darstellen.“
Richtig ist, dass 1737 der letzte männliche Medici-Großfürst starb (worauf die Habsburger die Toskana übernahmen). Andere Familienzweige aber existierten weiter, etwa jener der Prinzen von Ottaviano, dem dieser Lorenzo entstammt. Er ist ein unpompöser, entgegenkommender Mann, geboren in Mailand, aufgewachsen in der Schweiz, seit 1996 in Spanien ansässig. Er hat Wirtschaft und Kunstgeschichte studiert, doch das Geld, das er nicht braucht – noch immer kann ein Medici komfortabel vom Familienvermögen leben – verdient er mit dem Schreiben historischer Romane. Er hat noch einen älteren Bruder, der genau wie er geschieden ist, keiner hat Kinder.
Was durch „Cosimo den Alten“ begonnen worden war, führte sein Enkel Lorenzo (1449-1492) fort: Die Medici zeichneten sich durch großzügiges Mäzenatentum aus.
... das Isabella de' Medici aus dem 17. Jahrhundert zeigt, ziert das Appartment dieses Herrn: Don Lorenzo de' Medici ist der letzte lebende Nachfahre der Familiendynastie – in 16. Generation.
Die Medici: Das Ende einer Familiendynastie
Die letzten Medici: Mit ihnen wird die Familiengeschichte enden. Ihren Anfang nahm sie im Tal des Mugello, nördlich von Florenz. Gründer der Dynastie war wahrscheinlich ein gewisser Giambuono, geboren wohl 1150. Sein Sohn Chiarissimo saß schon als Ratsherr im Stadtrat von Florenz. Ursprünglich trieben die Medici einfachen Handel, vor allem mit Wolle. Doch bald wurden sie zu mächtigen Bankiers, erfolgreich besonders im Geschäft mit der Kirche. Als 1429 Cosimo (später „der Alte“ genannt) an die Familienspitze trat, hinterließ sein Vater Giovanni ihm, in eigenen Worten, „unermesslichen Reichtum“.
Cosimo war klug und vorsichtig genug, sein Machtstreben nie zu zeigen. Und außer diesem Haufen Geld hatte er auch eine glückliche Hand. Mit ihm begann die große Zeit der Familie: 300 Jahre lang hielten die Medici sich, mit kurzen Unterbrechungen, an der Macht, sie stellten drei Päpste (ein vierter gab sich aus Prestigegründen als Medici aus) und zwei Königinnen Frankreichs. Mit Cosimo begann auch, was Lorenzo de' Medici einen „kolossalen Akt des Mäzenatentums“ nennt.
Kunstsinnig, offen für Neues und grenzenlos reich, versorgte die Familie zahlreiche Künstler mit Aufträgen, die heute zu den bedeutendsten der Kunstgeschichte gehören: Botticelli, Brunelleschi, Fra Angelico, Donatello, Michelangelo – die Liste ist noch viel länger. Unter den Medici wird Florenz zur Metropole der Renaissance. Anfang des 18. Jahrhunderts vermachte Anna Maria Luisa, die Letzte aus dem Zweig der Großherzöge, diese Kunstwerke dem toskanischen Staat. Die Schätze der Familie sind heute die Schätze der Museen von Florenz.
Kein einfaches Erbe, denn da im Jahr 1737 der letzte männliche Medici-Großfürst in der toskanischen Heimat starb, halten nicht wenige Italiener:innen die Dynastie längst für ausgestorben.
Andere Familienzweige existieren weiter, so etwa jener der Prinzen von Ottaviano, dem auch Lorenzo de' Medici entstammt. Er wurde geboren in Mailand, wuchs in der Schweiz auf und lebt heute in Spanien, wo er als Medici-Chronist und Roman-Autor arbeitet.
Nicht nur an dem hartnäckigen Gerücht, die Medicis seien längst ausgestorben, muss sich Lorenzo abarbeiten, auch Imagepflege gehört zu seinen Hauptbeschäftigungen.
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Der Dienst an der Kunst als Familienphilosophie
MERIAN: Woher kommt die Undankbarkeit der Florentiner?
Lorenzo de' Medici: Schon der britische Historiker George Frederick Young, der 1909 ein wichtiges Buch über unsere Familie veröffentlichte, bemerkte in der Toskana eine starke Antipathie gegen die Medici. Seine Erklärung war, dass die aristokratischen Familien, die die Medici über die Jahrhunderte von der Macht verdrängt hatten, eine schwarze Legende nährten – dass wir Mörder seien, Giftmischer. Dieser Hass hat sich mit der Zeit aufs Volk übertragen. Ich will nicht behaupten, dass wir Heilige waren: Den einen oder anderen haben wir sicher vergiftet. Aber was ist ein Toter verglichen mit all dem, was die Familie über Generationen für die Toskana getan hat?
MERIAN: Sind Sie stolz darauf, ein Medici zu sein?
Lorenzo de' Medici: Stolz macht mich, dass diese Familie offenbar eine andere Art zu denken hatte, eine andere Vision. Reich waren viele Familien, aber während jene ihr Geld in Festungen und Schlösser steckten, bauten die Medici Renaissancevillen und umgaben sich mit Schönheit. Der Dienst an der Kunst gehörte zur Familienphilosophie. Anna Maria Luisas Idee, alle Kunstwerke dem Staat zu hinterlassen und ein Museum zu schaffen, war im 18. Jahrhundert revolutionär. Diese gewisse Volksnähe war für die Medici charakteristisch, und ich glaube, sie war eines der Geheimnisse ihrer langen Herrschaft.
MERAN: Gibt es noch andere?
Lorenzo de' Medici: Dass sie ihre Macht diskret ausübten, hinter den Kulissen die Fäden zogen. Und sie haben darauf geachtet, keinen Neid zu erregen. Das Volk sollte sie als ihresgleichen ansehen. Diese Zurückhaltung wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Auch uns erzog man dazu, keine Protzerei zu betreiben. Ich selbst lebe einfach und betrachte mich als völligen Anti-Snob.
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Piazza San LorenzoPraktischerweise trägt dieser Platz zumindest den Vornamen des letzten lebenden Medici-Erben: Piazza San Lorenzo vor der Kirche des Heiligen Laurentius.
„Il Magnifico“, der Prächtige
Cosimo der Alte beauftragte 1444 den Architekten Michelozzo, in der Via Larga einen neuen Familienpalast zu errichten: Das ursprüngliche Projekt von Brunelleschi verwarf er als „zu prachtvoll“. „Neid ist eine Pflanze, die nicht begossen werden sollte“, lautete einer seiner Merksätze. Er hielt sich zurück, überließ meist anderen die Ämter und hatte doch das Sagen: In einer stillen Revolution wurde die Republik zur Formsache. Sein Enkel Lorenzo führte Cosimos Lebenswerk weiter. „Il Magnifico“, der Prächtige, wurde er genannt – ein Literat und Kunstkenner, feinsinnig und gebildet, der Inbegriff des Renaissancemenschen.
MERIAN: Ihr berühmter Namensvetter Lorenzo: Ist er Ihr liebster Ahne?
Lorenzo de' Medici: Nein, in meinen Augen wird Lorenzo überbewertet. Ihm wurde ja alles in die Wiege gelegt: Cosimo war der, der den Anstoß gab, der erste Förderer der Kunst, darin liegt meiner Meinung nach mehr Verdienst. Und gegen seine Gegner ist Lorenzo mit harter Hand vorgegangen. Darüber haben die Schmeichler an seinem Hof, die ihn einen Politiker voller Finesse nannten, kein Wort verloren. Er war zweifellos gut darin, sein Image zu pflegen.
MERIAN: Für wen empfinden Sie besondere Sympathie?
Lorenzo de' Medici: Ich bewundere Caterina, die Königin Frankreichs. Sie war eine Frau mit wirklicher Courage. Sie hatte ein schreckliches Leben, von Kindheit an benutzt als Pfand der Macht. Ihr Mann, Heinrich II., hat sie gehasst, die Franzosen haben sie verachtet – aber sie bot allen die Stirn, setzte sich langsam durch und nahm die Zügel der Macht in die Hand. Sie vereinigte das Land, schuf das heutige Frankreich. Und sie, die zwei Päpste in ihrer Verwandtschaft hatte, tolerierte die Protestanten. Intelligent, neugierig, an allem interessiert – eine echte Medici. Dagegen war Maria, die zweite Medici auf Frankreichs Thron, eine Idiotin. Kurzsichtig und dumm, ließ sie sich von Richelieu für seine eigenen Interessen benutzen. Nun ja, es können nicht alle gut geraten.
Gian Gastone, der letzte Großherzog
Maria kam sehr vermögend nach Frankreich, ihre Mitgift soll die höchste gewesen sein, die eine Prinzessin je in eine Ehe einbrachte – das hochverschuldete Land machte mit der Hochzeit 1600 ein gutes Geschäft. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten saßen auch in Spanien, England und Österreich Medici-Frauen auf dem Thron. Die Dynastie verstand sich seit jeher darauf, durch geschickte Heiratspolitik ihren Einfluss auszuweiten. Ein anderes Standbein waren Karrieren in der Kurie. Schon Dreizehnjährige wurden zu Kardinälen gemacht (wenn es der Familie an Nachfolgern mangelte, musste ein Kardinal aber auch den Purpurmantel ablegen und eine Braut nehmen).
In Florenz regierten die Medici seit 1531 als Herzöge, 1569 wurden sie vom Papst zu Großherzögen der ganzen Toskana ernannt. Doch im nächsten Jahrhundert begann der Abstieg. Der letzte Großherzog, Gian Gastone, starb 1737, geistig verwirrt und physisch am Ende. Exzessives Essen und Trinken hatte seinen Körper zerstört. In den 13 Jahren davor soll er das Bett praktisch nicht mehr verlassen haben.
MERIAN: Eine traurige Gestalt ...
Lorenzo de' Medici: Mit Sicherheit die traurigste der Familie. Aber ich mag ihn, in all seiner Dekadenz und Tristesse. Er war ein armer Teufel. Er musste die Prinzessin von Sachsen-Lauenburg heiraten, diesen schrecklichen deutschen General. Und nach dem Tod seines älteren Bruders, des Thronfolgers, haben sie ihn gezwungen, Großherzog zu werden. Das alles wollte er nicht, er war ein Träumer und hasste das Palastleben. Die Leute glauben, es ist schön, ein Prinz zu sein, aber nein: Am Ende bist du nur eine Marionette in der Hand der Politik.
MERIAN: Haben Sie je unter Ihrer Abstammung gelitten?
Lorenzo de' Medici: Es war sehr schwierig, diesen Namen zu haben. Als ich jung war, habe ich eine Zeit lang sogar den Nachnamen meiner Mutter verwendet, so satt hatte ich die Aufmerksamkeit, dieses „Ah, wie Lorenzo der Prächtige“. Die Leute zeigen auf dich, reden, man steht mit diesem Namen unter ständiger Beobachtung. Vor allem als Kind war es peinlich, ein Medici zu sein, wir wurden in der Schule anders behandelt. Ich musste immer viel lernen, denn ich wusste, der Lehrer würde mich aufrufen. „Was kann uns Herr de' Medici dazu sagen?“ Solche Sachen. Das bringt dich den anderen gegenüber in eine delikate Situation.
Bereits vor dem Aufstieg der Medici wurde diese Kapelle errichtet: Kurz nach dem Tod des heiligen Franziskus im Jahr 1226 begannen dessen Anhänger mit dem Bau an der Piazza Santa Croce.
Und von der Terrasse der Santa Maria del Fiore geht der Blick auf den Piazza del Duomo. Hier erklingt bis heute regelmäßig das Geklapper von Pferdehufen – fast wie früher zu Zeiten der Medici also.
Überhaupt besitzt das heutige Florenz nach wie vor jede Menge Charme. Liebliche Altstadt-Gassen (im Hintergrund der 94 Meter hohe Turm des Palazzo Vecchio) erzählen ihre eigene, Jahrhunderte alte Geschichte – ganz unabhängig davon, ob sie den Namen berühmter Medici-Mitglieder tragen oder nicht.
Lorenzo de' Medici: Der letzte seiner Art
Die Familie lebte damals in einer Villa in der Nähe von Lausanne, in der Josephine Baker und der letzte italienische König verkehrten. Lorenzo und sein Bruder besuchten kirchliche Internate – obwohl der Vater nicht gläubig war. „Wahrscheinlich war er der Ansicht, bei einer so eng mit dem Papsttum verbundenen Familie sei eine religiöse Erziehung unabdingbar“, vermutet Lorenzo de' Medici. Für den Vater gehörte zur vollständigen Bildung auch, dass seine Söhne Machiavellis „Der Fürst“ auswendig kannten – ein Regierungsprogramm für Renaissanceherrscher, geschrieben 1513 und einem der Medici gewidmet.
MERIAN: Die Vergangenheit hatte in Ihrer Erziehung ein großes Gewicht?
Lorenzo de' Medici: Uns wurde von klein auf vermittelt: Du bist nicht wichtig, wichtig ist die Familie. Mein Vater sagte immer: Auch wenn die Leute vergessen können, wer du bist, du selbst darfst es nie vergessen. Denk immer daran, dass du mit deinem Handeln die Familie kompromittieren könntest. Wenn man so etwas als Kind gesagt bekommt, ist das ziemlich heftig, eine Last.
MERIAN: Ihr Vater starb, als Sie jung waren. Wie hätte er es aufgenommen, dass Sie keine Nachkommen haben?
Lorenzo de' Medici: Für ihn wäre das völlig unannehmbar gewesen.
MERIAN: Verspüren Sie selber Melancholie bei dem Gedanken: Nach mir kommt keiner mehr?
Lorenzo de' Medici: Nein. Wir sind die letzten Überlebenden – als bedeutende Familie haben wir ja schon lange aufgehört, zu existieren. Ob wir Erben haben oder nicht, das hat keinerlei Bedeutung.
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