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Formel 1 in Monaco: Ein Rennen gegen die Zeit

Die Formel 1 gehört zu Monaco wie der Eiffelturm zu Paris. Doch trotz der Faszination für die schwierige Rennstrecke kämpft man im Fürstentum mit der internationalen Konkurrenz – und dem Zeitgeist.

Text Elmar Brümmer
Datum 18.11.2022

Irgendwann endet das Rennwochenende in Monte Carlo für jeden in den Leitplanken. Auch die Gäste der „Brasserie Quai des Artistes“ unten am Hafen stehen plötzlich vor einer Dreifach-Metallschiene in Bistrotisch-Höhe und einem doppelten Maschendrahtzaun auf Ray-Ban-Level. Die Barrikaden ziehen sich quer durch die Stadt, am Felsen entlang, sogar rund um das Schwimmbad. Es trennt das Paradies der Reichen von der Welt der Ganz-schön-Schnellen. Auf welcher Seite es schriller zugeht, bleibt Ansichtssache.

Jedes Jahr Ende Mai versetzt die Formel 1 ganz Monaco in einen Ausnahmezustand. Doch wo die Ausnahme zur Regel wird, fühlt sich die Königsklasse des Motorsports am wohlsten: Von keinem anderen Autorennen sind die Zuschauer so hingerissen wie vom Großen Preis von Monaco. Für sie ist es ein lieb gewonnener Anachronismus, der dort 1929 zum ersten Mal zelebriert und auf einer seit gut 70 Jahren kaum veränderten Strecke immer wieder auflebt. 

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Formel 1 in Monaco: Ungewisse Zukunft

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Die Rennstrecke führt in vielen engen Kurven durch die Stadt.

Der langsamste aller WM-Läufe, gleichzeitig die wohl rasanteste Stadtrundfahrt der Welt, auf der an die 1000 PS starke Wagen durch 30er-Zonen donnern. Das einzige aller Rennen, das durch einen Tunnel führt, das eine Notarzt- und Bergungskran-Dichte hat wie keine deutsche Großstadt, bei der der Weg bis zur ersten Kurve nach dem Start nur 200 Meter beträgt – die Liste der Besonderheiten ließe sich beliebig verlängern. Das Gastspiel an der Côte d’Azur bietet, mit wechselnden Darstellern, vor einer Operettenkulisse die ewig gleiche Aufführung: einen rasanten Wettstreit zwischen Autos der Superlative.

Aber passt dieses Kronjuwel des Motorsports überhaupt noch in die Formel 1 der Gegenwart? Der Klassiker stand zuletzt lange auf der Kippe, denn nicht mehr Ferrari oder Mercedes regieren die Serie. Der Druck auf die Veranstalter, die sich der Modernisierung konsequent verweigern, wird immer größer. Die Rennpremiere von Miami hat gezeigt, wie sich auf noch weniger Platz als in Monaco rund um ein Footballstadion eine bessere Rennstrecke gestalten lässt, selbst wenn der Jachthafen dort nur ein Fake war, ganz ohne Wasser. 

Neue Fans durch „Drive to Survive“ und „F1 22“

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Carlos Sainz, Max Verstappen und Lando Norris beim GP von Monaco 2021

In Florida und vor allem im Nahen Osten wird locker das Zehnfache an Startgeld eingefahren. Die Monegassen zierten sich lange, pochten auf alte Sonderrechte. Aber Arroganz muss man sich leisten können. Monte Carlo braucht die Formel 1 mindestens so dringend wie umgekehrt. Als das Rennmanagement mit einem Straßenrennen im nahen Nizza drohte, brach der Widerstand. Zu veränderten Konditionen bleibt Monte Carlo für drei weitere Jahre im Kalender.

Ausgerechnet in Zeiten der Mobilitätswende boomt der Top-Motorsport wie noch nie. Die Formel 1 ist gut wie kaum eine andere Profidisziplin durch die Pandemie gekommen. Die höchsten Zuwachsraten gibt es bei Jugendlichen und Frauen. Täuschend echte Konsolenspiele wie „F1 22“ binden die Gaming-Racer an die echten Rennen, die Netflix-Serie „Drive to Survive“ lässt Fans weltweit hinter die Kulissen blicken und inszeniert viele Dramen. 

MERIAN Monaco und Côte d’Azur

Das Fürstentum am Mittelmeer ist für Luxus und einen ganz besonderen Lifestyle bekannt. MERIAN blickt hinter die Kulissen von Monaco, entdeckt die geheimen Dachgärten und ergründet die Faszination des berühmten Formel-1-Rennens. Entdecken Sie weitere Tipps und Geschichten von der Côte d’Azur.

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Zeitreise in die Vergangenheit der Formel 1

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Ferrari-Fahrer und gebürtiger Monegasse: Charles Leclerc

Streng genommen ist die Tour durch Monaco gar keine Rennstrecke. Und dennoch fühlten sich die Piloten schon immer besonders hingezogen zu diesem schillernden Provisorium. Monaco gilt in der sonst so von Digitaltechnik und Retortenpisten bestimmten Formel 1 als klassische Fahrerstrecke, für viele Piloten eine Zeitreise. 

„In Monte Carlo sind die Sinne im Alarmzustand“, weiß der britische Rennfahrer Jenson Button. Mancher fühlt sich während der nur 3337 Meter langen Runde durch den Leitplankenkanal wie eine Roulettekugel im Casino. Über all die Jahre ist aber verhältnismäßig wenig passiert, trotz der bedrückenden Enge. „Dennoch gibt es so etwas wie eine Runde mit geringem Risiko hier nicht“, sagt Weltmeister Max Verstappen, „denn man bewegt sich immer am Limit.“ Pro Runde fallen 80 Lenkbewegungen und 60 Gangwechsel an, der Nachmittag umfasst in Summe 1482 scharfe Kurven. In den Cockpits löst sich der Glamour in harte Arbeit auf.

Für die Zuschauer mag die wilde Berg- und Talfahrt atemberaubend wirken, die meisten Piloten aber halten auf ihren schnellsten Runden im Qualifying tatsächlich über lange Strecken die Luft an – um die absolute Konzentration nicht zu stören. Jeder rutschige Zebrastreifen oder unebene Kanaldeckel kann zum Verhängnis werden, Auslaufzonen gibt es nicht. Auch im schwarzen Schlund des Tunnels lauert eine äußerst gemeine, lang gezogene Rechtskurve. Casino-Mentalität, allenthalben. „Man gerät hier so in Trance, dass man irgendwann nicht mehr weiß, ob man nun um die Leitplanken herum oder durch sie hindurchfährt“, erinnert sich der Schotte David Coulthard.

Die wichtigste Stelle kommt gleich am Anfang. Mit 250 Stundenkilometern geht es rechts hoch, links liegt wie eingeschüchtert das Kirchlein Sainte-Dévote. Hier endete schon manch potenzielle Siegfahrt nach Sekunden in einem Unfall. Auf keiner anderen Formel-1-Rennstrecke ist es so wichtig, einen guten Start zu haben. Denn nach der ersten Kurve beginnt praktisch ein permanentes Überholverbot, da es schlichtweg zu eng ist. Der Brasilianer Nelson Piquet hatte eben doch recht, als er behauptete: „Autorennen in Monaco ist wie Hubschrauberfliegen im Wohnzimmer.“

Bester Blick von Balkonen und Terrassen

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Auf den besten Plätzen: Die Balkone von Monaco

Jeder Winkel entlang der Gelegenheitspiste ist mit tem­porären Tribünen verbaut, 37.000 Renn-Touristen müssen irgendwie untergebracht werden. Für die Boxengasse bleibt nur minimal Platz, der Hafen und die Apartmentburgen diktieren die natürliche Grenze. Nirgendwo sind die Zuschauer so nah dran, vom Café in der Rascasse-Kehre aus sind die Rennwagen im Wortsinn zu greifen. Alle Terrassen sind voll wie die Vorortzüge aus Nizza und Italien, wo nicht wenige Fans sich einmieten – im Umland sind die Hotelpreise etwas erträglicher. In Monte Carlo selbst ist alles eine Große-Preis-Frage. Ein Sonntagsticket am Casino kann sich schnell auf 1500 Euro belaufen.

Aber die Faszination des Spektakels scheint ungebrochen. Gegen Abend, wenn sich die Fan- und Fangzäune an der Strecke wieder für das beginnende Nachtleben öffnen und das Areal dem Stoßverkehr der Schaulustigen gehört, sind erwachsene Menschen zu erleben, die mit Messern den Gummiabrieb vom Asphalt kratzen, um diesen als Reliquie mit nach Hause zu nehmen. Ein Japaner schreitet leicht gebeugt und scheinbar summend den ganzen Parcours ab, er zeichnet akribisch die Ideallinie mit der Videokamera auf. „Ein Rennen ohne Sinn, das Sinn macht. Es wäre doch langweilig, wenn wir nur normale WM-Läufe hätten“, findet Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve.

Rennen in Monte Carlo, das verspricht in jeder Hinsicht das größtmögliche Echo, der Gesang der Turbo-Sechszylinder bricht sich hundertfach in den Felsen der Seealpen. Die Kakofonie des Motorsports. Doch Fürst Albert war einer der Ersten, der auch der Alternativ-Serie Formel E eine Chance gegeben hat. Die Elektrorennwagen sind jedoch mehr Marketingveranstaltung denn Weltmeisterschaft, und die erste Generation kam in Monaco nicht den Berg hoch. 

Monaco und die Formel 1: Der Sprung in die Zukunft

Aber auch die Formel 1 als letzte Spielwiese der Verbrennungsmotoren hat die Zeichen der Zeit erkannt. Längst verfügen die Autos über den effizientesten Antriebsstrang, auch den allerteuersten. Biokraftstoff wird bereits beigemischt, von 2026 an sollen die Hochleistungsmotoren zur Hälfte aus Elektrokomponenten bestehen, gefahren werden soll dann nur noch mit synthetischen Kraftstoffen. Bis 2030, so das Ziel, soll die Serie klimaneutral sein. Das Problem dabei sind vor allem die langen Transportwege rund um die Welt. Manchem, etwa dem Aussteiger Sebastian Vettel, geht das immer noch nicht schnell genug. Aber als Werbe­kolonne für die Transformation der Autoindustrie bleibt die Formel 1 begehrt. Gerade ist Audi eingestiegen, Honda kommt zurück, die Koreaner haben großes Interesse.

Etwa die Hälfte aller Formel-1-Piloten wohnt in Monaco, für sie ist es auch abseits des Rennens ein Steuerparadies. Ferrari-Hoffnung Charles Leclerc ist sogar hier geboren. Die Macht der Bilder an den Rennwochenenden ist eines der stärksten Argumente, weiter hier zu fahren. Die VIP-Dichte, auch ein Indikator für ein erfolgreiches Rennformat, ist anderswo inzwischen allerdings mindestens genauso groß, dazu sportlicher und diverser. 

Vielleicht passen die Formel 1 und Monte Carlo gerade deshalb so gut zusammen, weil ihr Zauber auch auf so vielen extremen Gegensätzen beruht. Direkt unten an der Hauptkreuzung werden zu Gunsten der Armenspeisung für die in Monaco lebenden Obdachlosen Baguettes verkauft. An manchen Hängen klammern sich Fans ausdauernd an Büsche, um gratis das Privileg der Reichen zu genießen, die Welt von oben herab zu betrachten.

Alles Versatzstücke im Gesamtkunstwerk Grand Prix. Die örtlichen Royals wirken in ihrer Panzerglasbox an der Zielgeraden aus der Ferne wie ein Wachsfigurenkabinett. Da ist es auf dem schwimmenden Party-Ponton von Red Bull gegenüber im Hafen schon weit lebendiger. „Wenn du alles unter Kontrolle hast“, ist dort als Motto zu lesen, „bist du einfach nicht schnell genug.“ Doch Eile ist geboten, dass sich das Rennen in Monaco neu erfindet, es hat lange genug in der Vergangenheit gelebt. Mögen alte und neue Rennwelt auch gerade heftig aufeinanderprallen, wohl nie ändern wird sich der Begrüßungssatz des Regenten für den jeweiligen Sieger: „Ich freue mich, dass gerade Sie es sind.“

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