Edelfedern: Zu Besuch bei Montblanc

Das Herzstück entsteht aus 18-Karat-Goldband. Die glänzende, tellergroße Rolle, die Frank Derlien in der Hand hält, ist kaum breiter als Tesafilm, doch überraschend schwer – gut fünf Kilogramm mag sie wiegen. Derlien, Leiter der Federherstellung, zeigt auf die Maschine, in die sie später eingespannt wird, um den Rohling für die Feder auszustanzen. Nur wenige Meter entfernt sitzt in einem ruhigen, verglasten Raum Nuriye Özkan und führt fertige Federn in Strichen und Schlingen über ein Blatt Papier. Jedes noch so feine Kratzen, jede Unebenheit nimmt sie wahr.
Seit mehr als 30 Jahren arbeitet sie bei Montblanc – wenn eine Feder nur minimal kratzt, gibt sie das Stück umgehend in die Werkstatt zurück. Jeder einzelne Füllfederhalter, der die Produktionsstätte in Hamburg verlässt, wird hier auf Perfektion geprüft.
Während sie den Füller über das Papier führt, nimmt sie immer wieder unterschiedliche Handhaltungen ein, übt mal mehr, mal weniger Druck aus, setzt die Feder mal flacher an, wie es besonders in Deutschland üblich ist, mal in einem steileren Winkel, wie viele asiatische Kundinnen und Kunden es tun. „Jeder Mensch hat eine eigene Schrift, die teils durch die Kultur geprägt ist“, sagt Frank Derlien.
Von Federn und Tinte: Die Montblanc-Versprechen

Bei Montblanc gibt es acht Feder-Varianten, von extra fein bis besonders breit. Vom Rohling bis zur perfekt geschliffenen Feder sind es 35 Arbeitsschritte, oft auch mehr. Manche Unikate tragen Initialen oder das Familienwappen, gestanzt mit eigens hergestellten Stempeln, auf Wunsch werden Smaragde oder Rubine eingefasst. Es sind wertvolle Materialien, die hier zum Einsatz kommen. Iridium zum Beispiel, aus dem das Schreibkorn besteht, die kugelförmige Spitze der Feder. Das silberweiße Metall ist teurer als Gold, besonders hart und korrosionsbeständig. Indem der Feder Strom zugeführt wird, verschmilzt sie mit der winzigen Iridium-Kugel.
Dann schneidet ein Feinmechaniker sie mit einer handtellergroßen, skalpellscharfen Scheibe aus dem Mineral Korund in zwei exakt gleich große Flügel. „Schon kleinste Ungenauigkeiten würden sich später auf das Schreibgefühl auswirken“, sagt Frank Derlien. Dass die Tinte auf Papier landet und nicht an Fingern, in der Hemd- oder Handtasche, ist eines der Montblanc-Versprechen.
Wie Montblanc zu seinem Namen kam

1906 wurde die Firma von August Eberstein, Alfred Nehemias und Claus Johannes Voss in Hamburg gegründet. Von 1907 an meldete die „Simplo Filler Pen Co.“ verschiedene Patente an. Weil sie international aufgestellt ist, schon zwei Jahre nach der Gründung auch in London und Paris verkauft, soll auch ihr Produkt einen Namen bekommen, der diese Weltläufigkeit unterstreicht.
1910, so geht die Legende, hätten sich die Geschäftsführer beim Kartenspielen überlegt, wie man es anstellen könnte, dass jeder in der Welt ihre Füller wiedererkennt. Weil sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr nur der Adel, sondern auch gut situierte Bürger Urlaub leisten und den Sehnsuchtsort Alpen entdecken, soll plötzlich der Name des höchsten Bergs Europas gefallen sein. Seit 1913 tragen die Füllfederhalter die sternförmig stilisierte Schneespitze des Montblanc auf ihrer Kappe und eingeprägt auf der Feder die gerundete Höhenmeterzahl des Montblanc, „4810“. Ab 1934 ist „Montblanc“ auch der Firmenname.
Das Reisen spielt für die Vermarktung schon früh eine Rolle. Im Archiv lagern Schwarz-Weiß-Fotos aus der Kaiserzeit und Werbebroschüren aus der Weimarer Republik. Ein Plakat aus den 20er-Jahren zeigt Frauen im Badeanzug mit Sonnenschirm: „Schreiben Sie Ihre Grüße vom Strand mit dem Montblanc Füllhalter“, steht darauf. Auf Sylt ließen die Unternehmer einen Pavillon aufstellen, in dem Touristen neben Füllern und Tinte auch Fotos von sich am Strand kaufen konnten. Der heutige Firmensitz im Nordwesten Hamburgs ist in Schwarz und Weiß gehalten, der Neubau des spanischen Architekten Nieto Sobejano wurde 2022 eröffnet.
Montblanc Haus in Hamburg

Eine Dauerausstellung im Montblanc Haus erzählt die Geschichte, hinter dem Neubau liegen die Werkstätten. Nicht nur Füller entstehen hier, sondern auch die Maschinen, die Korpus und Kappe gießen, Federn stanzen, schneiden und schleifen. Die Produktion ist so speziell, dass Montblanc den Großteil seiner Maschinen selbst herstellt.
In der Ausstellung hängen originale Schriftstücke von berühmten Menschen wie dem recht ordentlich schreibenden Albert Einstein, Agatha Christie, die eine geschwungene Handschrift hatte, oder dem „Oppenheimer“- Darsteller Cillian Murphy. Fotos zeigen, welche Staatsoberhäupter auf Verträgen, Urkunden oder in Goldenen Büchern mit einem Montblanc unterschrieben, darunter Angela Merkel, Michail Gorbatschow, John F. Kennedy, Barack Obama und Queen Elizabeth II.
Auch einige limitierte Füller-Editionen, die im Laufe der Jahrzehnte aufgelegt wurden, sind hier zu sehen, etwa das Modell „Marilyn Monroe“, dessen Clip eine Perle schmückt und das im Farbton des Lippenstifts gehalten ist, den die Diva besonders mochte: Max Factor Ruby Red #1.
Sonderanfertigungen und limitierte Montblanc-Füller

Thorsten Hering leitet das Atelier, in dem limitierte Editionen und Sonderanfertigungen für Sammler entstehen. Ein Stück, das er noch gut in Erinnerung hat, ist der Füllfederhalter für einen Zigarrenliebhaber. Der wünschte sich, dass sein Schreibgerät echte Tabakblätter enthalte. Gold, Diamanten, versteinertes Holz und Mammutstoßzähne aus Sibirien: Aus alldem haben sie bei Montblanc bereits den Korpus von Füllern gebaut.
Für den Zigarrenfreund musste erst einmal ein Verfahren entwickelt werden, das echte Pflanzenblätter hart und haltbar macht, auf seinen Füller hat er mehr als drei Jahre gewartet. „Zwei Drittel der Zeit brauchen wir für die Recherche“, sagt Thorsten Hering. Ein deutscher Unternehmer wünschte sich eine Edition, die den Orientexpress zum Thema hat. Daraus entstand eine Reihe mit mehreren limitierten Stiften und ein Unikat mit Diamanten, Rubinen und Saphiren für den Sammler.
Das Unikat erinnert an einen Eisenbahnwaggon. Auf der Feder ist die Frontalansicht einer Dampflok eingeprägt, in der Kappe eine Uhr eingebaut, im Korpus ein ovales Fenster, unter dem sich ein filigraner, ausklappbarer Schmetterling befindet. Um die Form eines Waggons nachzuempfinden, musste der Füller im Querschnitt oval sein statt kreisrund. Aber so ein Füller lässt sich nicht auf- und zuschrauben. Also haben sie einen Mechanismus entwickelt, durch den der Stift per Knopfdruck aufspringt, und ein Planetengetriebe mit verschiedenen Zahnrädern, damit sich der Kolben beim Auffüllen der Tinte bewegen kann.
Kollaboration mit Wes Anderson
Weniger kompliziert ist die neueste limitierte Edition, die seit Mai 2025 auf dem Markt ist. Was auffällt, ist die frühlingsgrüne Farbe, ausgewählt hat sie der amerikanische Regisseur Wes Anderson.
Wie es dazu kam: Anderson drehte anlässlich des 100. Jubiläums des Modells „Meisterstück“ 2024 einen Werbefilm, die Hauptrollen darin spielen die Schauspieler Rupert Friend und Jason Schwartzman sowie er selbst. Im Film verrät er den Namen der jüngsten Edition: „the scribbler“ – „der Schreiberling“.