Die Seele der Elefanten: Tierschützerin Lek Chailert im Interview

Aufgewachsen in einem thailändischen Bergdorf, entwickelte Lek Chailert schon früh eine große Liebe zu Elefanten. Mittlerweile macht sie sich seit mehr als 40 Jahren für den Schutz der Tiere stark. Im Interview spricht sie über ihre Projekte in Südostasien, über Elefanten im Tourismus und das Wesen der sanften Riesen.
Text Mila Krull
Datum08.06.2025

Dass domestizierte Elefanten als Arbeitstiere eingesetzt wurden, war im südostasiatischen Raum lange Normalität. Auch für die junge Thailänderin Lek Chailert, die in einem Dorf im Norden des Landes aufwuchs. Bis eine traumatische Begegnung schließlich ihr Leben und das vieler Elefanten verändern sollte. 

Seit Jahrzehnten widmet sich die 64-Jährige mit unermüdlichem Engagement dem Schutz und der Rettung von Elefanten – unter anderem im von ihr gegründeten Elephant Nature Park nahe Chiang Mai

Im Interview mit Merian spricht über die Situation der Elefanten in Südostasien, über ihr soziales Wesen und darüber, wie ein respektvoller, artgerechter Tourismus funktionieren kann.

Merian: Können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit einem Elefanten erinnern?

Lek Chailert: Ich kenne Elefanten seit meiner Kindheit, denn sie haben schon immer rund um unser Dorf gelebt. Meine Familie stammt aus dem thailändischen Dschungel, wir hatten aber nie einen eigenen Elefanten.

Wie kam es dazu, dass Sie sich für den Schutz von Elefanten eingesetzt haben?

Das begann im Teenageralter, als ich zum ersten Mal erlebt habe, wie ein Elefant für die Holzindustrie missbraucht wurde. Drei Männer haben auf das Tier eingeschlagen – es war schrecklich mit anzusehen. Als der Elefant schließlich gezwungen wurde, das schwere Holz einen Berg hochzuziehen, drehte er sich um und sah mir direkt in die Augen. Ich konnte seine Verzweiflung und seine Angst spüren. Für mich war es unerträglich, das größte Landtier der Welt so leiden zu sehen.

Inwieweit hat dieses Erlebnis ihr Leben verändert?

Ich habe diese Begegnung nie vergessen. Also habe ich mit 17 Jahren die Schule beendet und begann zu arbeiten. Das Geld habe ich gespart und davon Medizin für den Elefanten in unserem Dorf gekauft. Schließlich kamen weitere Mahuts (Anm. d. Red.: Elefantenführer) zu mir und haben mich um Medizin und Pflege für ihre Tiere gebeten. Viele Elefanten wurden damals trotz hohen Alters, Krankheiten oder sogar Schwangerschaften zum Arbeiten gezwungen.

Vom TIME Magazine wurde Lek Chailert als „Hero of Asia“ ausgezeichnet.

Besteht dieses Problem nach wie vor?

Es hat sich leider nur verlagert. 1989 hat die thailändische Regierung das private Holzwirtschaften offiziell verboten. Ein Großteil der Arbeitselefanten wurde anschließend in der Tourismusindustrie eingesetzt. Doch, anstatt dass sie dort mehr Schutz genießen konnten, wurden sie weiterhin abgerichtet, gequält und gezwungen, stundenlang zu arbeiten. 

Welche Gefahren gehen davon aus?

Die Menschen haben die Elefanten aus ihrem natürlichen Habitat, dem Dschungel, gerissen. In den Städten wurden sie bedrängt und für Kunststücke wie Tanzen, Hula-Hoop und Ballspiele vorgeführt. Zudem hat man Babys von ihren Müttern getrennt. Das war herzzerreißend und kam so nicht mal im Holzgeschäft vor.

Welche offiziellen Regelungen gibt es derzeit in Thailand? Stehen Elefanten unter Schutz? 

Es gibt ein Tierschutzgesetz, doch die Mahuts und auch die Politik haben noch sehr viel Nachholbedarf in Sachen Tierwohl. Elefanten können im Fall von Quälerei und Missbrauch zum Beispiel nicht beschlagnahmt werden.

Mehr über Lek Chailert

Lek Chailert wurde 1961 in Baan Lao, einem Bergdorf im Norden Thailands, geboren. Sie gilt als Ikone des Elefanten- und Tierschutzes und hat bereits mehrere tausende Tiere – darunter über 200 Elefanten – gerettet. Als erste weibliche Angehörige ihres Volksstammes (Khmu) hat Lek Chailert ein Studium absolviert. 2006 wurde ihr durch den Prinzen von Thailand der Ehrendoktortitel in Veterinärwissenschaften der Rajabhat Chiang Mai University verliehen. Für ihre Arbeit hat sie zudem mehrere internationale Auszeichnungen erhalten.

In einem Flusstal in der Nähe von Chiang Mai hat Lek Chailert ihre Vision vom friedlichen Zusammenleben von Menschen und Tieren verwirklichen können. Hier empfängt der Elephant Nature Park (ENP) seit 2003 Besucher auf einem rund 300 Hektar großen Gelände. 

In ganz Asien gibt es nur noch rund 45.000 wilde Elefanten. Etwa 15.000 leben nach wie vor in Gefangenschaft, die meisten in Indien, Thailand und Myanmar.

Elefantentourismus in Südostasien

Wie ist die aktuelle Situation in anderen Ländern?

In Myanmar werden Elefanten nach wie vor in der Holzindustrie eingesetzt. Dort, in Laos, Bangladesch und Kambodscha sind Elefanten zudem ein fester Bestandteil der Tourismusindustrie. China hingegen leiht thailändische und myanmarische Elefanten, um diese bei schweren Arbeiten einzusetzen. Immer wenn der Gewinn größer ist als das eigene Herz, schadet das den Elefanten. 

Was kann man dagegen tun? Sollten Elefanten im Tourismus generell verboten werden?

Ich kämpfe nicht gegen die Tourismusindustrie, denn die meisten südostasiatischen Länder und ihre Bewohner sind abhängig von ihren Besuchern. Aber es ist wichtig, dass die Elefanten nicht verletzt oder gequält werden. Viele Touristen wissen leider oft nicht, wie sehr die Tiere im Alltag leiden oder dass sie eigentlich viel zu alt oder krank sind, um zu arbeiten.

Immer dabei: Lek Chailert betreut die geretteten Elefanten

Haben Sie einen Tipp für Urlauber, wie sie ein artgerechtes Elefantenprojekt von einer schlechten Attraktion unterscheiden können?

Wir versuchen zum Beispiel durch Öffentlichkeitsarbeit darüber zu informieren, wie Elefanten im Tourismus eingesetzt werden. Einige Elefantencamps bezeichnen sich selbst als „Reservat“, doch das Tierwohl steht trotzdem nicht an erster Stelle. Das kritische Baden mit Elefanten gehört dort zum Beispiel zum Programm. Dennoch sind diese Camps um ein einiges besser als die gewaltvollen Elfantenzirkusse.

Verstehen die Mahuts den Sinn Ihrer Arbeit und sind sie bereit, etwas zu verändern?

Manche haben ihren Umgang mit den Tieren bereits deutlich verbessert. Über Social Media verbreiten sich negative Erfahrungen mit Elefantencamps heute so schnell, dass die Betreiber darauf angewiesen sind, ihren Ruf zu bewahren. Manche jedoch zeigen sich unbelehrbar und greifen sogar uns Tierschutzorganisationen an. Zum Glück haben sich mittlerweile auch einige Politiker eingeschaltet und unterstützen den artgerechten Umgang mit Thailands Elefanten.

Elefanten-Reservate in Chiang Mai

Sie haben den Elephant Nature Park in der Nähe von Chiang Mai gegründet und weitere Sanctuaries aufgebaut. Wie sieht Ihre Arbeit vor Ort aus?

Im Elephant Nature Park leben derzeit rund 120 Elefanten. Wir haben sie aus unterschiedlichsten Situationen befreit, etwa aus der Holzarbeit, vom Elefantenreiten, aus dem Zirkus und sogar aus Tempeln. Nachdem sie im Park ankommen, werden sie zunächst einzeln beobachtet, sodass wir uns ein Bild von ihrem Verhalten machen können. Der Großteil von ihnen ist traumatisiert und hat kaum mehr Vertrauen zu Menschen. Das versuchen wir über viel Ruhe und Respekt zurückzugewinnen.

Elefanten zählen zu den sozialsten Tieren der Welt. Wie macht sich das im Umgang mit ihnen bemerkbar?

Es gibt ein schönes Beispiel aus den Parks. Wenn Elefantenkühen ihre Kälber entrissen wurden oder sie keinen eigenen Nachwuchs haben, sind sie oft dazu bereit, ein verwaistes Elefantenkind zu adoptieren. Sie schlüpfen dann in die Rolle einer Nanny oder werden sogar zur Ersatzmutter. Schließlich kann niemand Elefanten so gut heilen, wie sie sich selbst.

Lek Chailert über die Seele der Elefanten

Im Elephant Nature Park können Besucher die Tiere aus respektvoller Distanz beobachten.

Haben die Elefanten besondere Eigenschaften? Wie kann man die Tiere auseinanderhalten? 

Jeder Elefant ist einzigartig: wie sie laufen, wie sie kommunizieren, die Geräusche, die sie machen. Manche Elefanten haben zudem eine Art Freundschaft mit ihren Pflegern aufgebaut. Oft kommen Elefanten, die ich schon lange kenne, angelaufen, wenn sie meine Stimme hören. Manche sind jedoch auch sehr schüchtern, manche sind humorvoll, andere wiederum sind sehr laut und frech. Sie haben völlig verschiedene Persönlichkeiten so wie wir Menschen. 

Was schätzen Sie an den Tieren besonders?

Ich bewundere, wie sehr sie sich gegenseitig lieben. Sie passen aufeinander auf, sie sind freundlich zueinander und alle kümmern sich gemeinsam um die Babys. Es gibt Großmütter, Pflegemütter, Nannys, Schwestern, Cousinen und alle haben nur das Wohl der Kälber im Sinn. 

Übernehmen die Elefanten in der Herde also unterschiedliche Aufgaben?

Genau, jedes Tier hat seine Rolle. Manche kümmern sich darum, mit den Jungen zu spielen, andere darum, sie zu ernähren. Wieder andere sind strenger und übernehmen die Erziehung. Sie alle schützen die Kälber, als wären es ihre eigenen. 

Besuch im Elephant Nature Park

Was erwartet Besucher im Elephant Nature Park?

In erster Linie geht es um Bildung. In unseren Parks wollen wir Besucher darüber informieren, wie respektvoller Umgang und ethischer Elefantentourismus aussehen kann. Ganz zu Beginn war es noch möglich, gemeinsam mit den Elefanten zu baden. Doch leider haben einige Menschen die Elefanten geärgert und bedrängt, sodass wir das nicht länger anbieten konnten. Zunächst sind die Besucherzahlen um 50 Prozent eingebrochen, doch das war uns egal. Mittlerweile kommen unsere Gäste vor allem, um das Elefantenschutzprogramm zu unterstützen. Die geretteten Tiere kann man von Holzstegen und Brücken aus mit respektvollem Abstand beobachten.

Denken Sie, dass Reisende heutzutage sensibler in Hinblick auf das Tierwohl sind? 

Vor allem in der jungen Generation ist das Verständnis gewachsen, da viele Kinder in der Schule wieder den respektvollen Umgang mit Tieren und der Natur lernen. Ich habe die Hoffnung, dass diese Entwicklung durch Soziale Medien noch weiter zunehmen wird. Die Menschen reisen mehr und teilen ihre Erfahrungen – positiv wie negativ – im Netz. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass das Geschäft, in dem wilde Tiere wie Elefanten, Delfine, Orang-Utans und viele andere zu Unterhaltungszwecken genutzt werden, irgendwann komplett verboten wird.