© Korea Tourism Organization/Yoo Gyejeong
Sehenswürdigkeiten

Ein Land im Trend: Die Highlights von Südkorea

K-Pop, K-Movies, K-Fashion: Südkorea ist gerade mächtig im Trend. Doch was macht das echte Land aus? Melancholie, Berge mit Weitblick und vieles mehr, weiß Merian-Autor Sören Kittel, der über ein Jahr in Seoul gelebt hat. Das sind seine Highlights.

Datum 07.12.2023

An Südkoreas südlichster Südspitze taucht im Jahr 749 ein Schiff auf, von dem man sich noch über ein Jahrtausend später erzählen wird. Solange die Menschen es anschauen, bleibt es in der Ferne und bewegt sich nicht. Wenn sie sich darauf zubewegen, weicht es zurück. Wenn sie sich umdrehen und zurück ins Dorf gehen, kommt es immer näher. Es sieht menschenleer aus – ein Geisterschiff. 

Diese Geschichte habe ich einmal in Südkorea gehört, in einem Dorf namens Ttangkkeut (sprich etwa: Tangkett), das ist Koreanisch für „das Ende der Welt“. Es liegt ganz an der südlichsten Spitze der Halbinsel, die doch für die Menschen hier eigentlich eine Insel ist. Denn im Norden liegt die gefährliche Grenze zum Nachbarland Nordkorea, im Westen die Supermacht China und im Osten Japan, der Nachbar, mit dem es immer Probleme gab. Südkoreanern bleibt nur das Schiff oder das Flugzeug, um in die Welt zu reisen, dabei gibt es theoretisch eine Landverbindung bis nach Berlin. Sie bezeichnen ihr Land gern als Shrimp zwischen zwei Walen.

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Viertel Itaewon: Am Tresen von Mama Kim

Eine belebte Kreuzung im Stadtteil Itaewon in Seoul © Korea Tourism Organization/Jeon Hyeongjun
Beliebtes Ausgehviertel in Seoul: Itaewon

Aber wenn ich selbst an Südkorea denke, dann eben zuerst an dieses Schiff, das zwar sichtbar ist, sich aber Fremden gegenüber als wenig zugänglich präsentiert. Das Land hat sich zwar längst der Welt geöffnet, etwa durch die Olympischen Sommerspiele 1988, zwei Weltausstellungen und die Fußball-WM 2002. Aber es braucht nach wie vor Zeit und Geduld, um das Land jenseits der Trends kennenzulernen.

Das war bei mir nicht anders. Deswegen möchte ich Sie zu fünf Orten mitnehmen, durch die sich mir dieses Land gut erschlossen hat. Der erste Ort ist selbst im Hochsommer düster-schummrig. Am Rand des Ausgehviertels Itaewon in Seoul liegt die Bar von Mama Kim, die sie mit ihrem Ehemann aufgemacht hat und mehr als vierzig Jahre gemeinsam führte. Das „Grand Ole Opry“ ist nach einer Bar in Nashville benannt und hat sieben Tage die Woche geöffnet. Früher machte ihr Ehemann das legendärste Chili in ganz Seoul, erzählt Mama Kim, doch er ist vor einigen Jahren gestorben.

Sie ist längst jenseits der 75 Jahre, aber sie denkt nicht ans Aufhören. Das Besondere am „Grand Ole Opry“ ist, dass hier bis vor Kurzem nur US-Soldaten bedient werden durften, Koreaner nicht. Das hat mit einer sehr speziellen Ausschank-Lizenz zu tun, Hauptkunden waren die rund 30.000 in Seoul stationierten US-Soldaten. Jetzt ist die Militärbasis aus der Innenstadt weggezogen, inzwischen dürfen hier alle trinken. Überall in der Bar hängen 1-Dollar-Scheine, auf denen sich Stammgäste verewigt haben – gewissermaßen ein Versprechen, dass sie zurückkommen. Mama Kim spielt noch immer einmal am Abend die US-Nationalhymne, weil sie froh ist, dass die US-Soldaten „uns die Nordkoreaner vom Hals halten“.

Südkorea: Ausflug auf die Insel Nami

Herbstliche Wälder auf der südkoreanischen Flussinsel Nami © Korea Tourism Organization/Kwon Ri-hwan
Romantisches Ausflugsziel: Die Flussinsel Nami

Auf den Konflikt mit dem nördlichen Nachbarn treffen Gäste in Südkorea überall. Mit Deutschen sprechen die Leute besonders gern darüber. Ihr habt die Wiedervereinigung geschafft, sagen sie dann. Überhaupt sind die Freizeitgewohnheiten in Deutschland und Südkorea ähnlich: wandern, saunieren. Und dazu dann diese bestimmte Melancholie, die selbst Koreaner schwer in Worte fassen können. Sie heißt „Han“ und bezeichnet eine Art Weltschmerz, wie eine große Liebe, die für immer unerwidert bleibt.

Ein Ort, wo sich dieses Gefühl fast von selbst einstelle, sei die Insel Nami. Ungefähr eine Stunde dauert die Reise zu dieser Flussinsel von Seoul aus. Auf ihr versammelt sich vieles, was an Südkorea großartig und anstrengend zugleich ist. So wurde sie zum Touristenort ausgebaut und ist eigentlich ganzjährig gut von Inlandstouristen bevölkert. Doch die Massen verlaufen sich schon direkt nach der Ankunft. Die zahlreichen Selfie-Spots sind so angelegt, dass sich niemand in die Quere kommt. 

Es gibt kleine Cafés und romantische Alleen, über die pittoresk im Herbst gelbe Blätter wehen. Bekannt wurde die Insel durch die koreanische Serie „Winter Sonata“, die von einem jungen Liebespaar handelt, das im Winter nach Nami Island fährt und dort den ersten Kuss erlebt. Die beiden sind als Statuen verewigt, direkt an dem Ort, wo die Szene gedreht wurde. Diese Art, Fiktion in die Realität zu heben, findet sich in Südkorea immer wieder.

Wanderung auf den Seoraksan

Wolkenbehangende Gipfel im Seoraksan-Nationalpark © Korea Tourism Organization/Lee Mo-yeon
Südkorea ist größtenteils gebirgig. Ausgebaute Wanderwege führen hinauf zu Gipfeln wie diesen im Seoraksan-Nationalpark.

Noch besser als zurück nach Seoul zu fahren ist es aber, gleich weiter nach Osten zu reisen und das Gebirge um den Seoraksan zu besuchen. Wanderwege sind in diesem Land meist exzellent ausgebaut. An manchen steht sogar ein kleines Holzhäuschen, in dem jemand sitzt, der vor dem Gipfelanstieg die Schuhe begutachtet. Wer in Turnschuhen kommt, wird weggeschickt.

Wer die malerischen Gipfel hingegen besteigt, kann oben an guten Tagen bis an die Ostküste und weit ins nordkoreanische Gebirge schauen. Rund drei Viertel von Südkorea sind gebirgig. Der mythische Ort, von dem alle Koreaner abstammen sollen, ist allerdings der Paektusan. Und der liegt nun mal in Nordkorea – für viele Menschen in Südkorea eine Quelle von „Han“.

Es ist kein Wunder, dass sich als inoffizielles Nationallied „Arirang“ durchgesetzt hat, ein volkstümliches Lied über einen Mann, der zusammen mit seiner Frau in einem Haus in den Bergen lebt. Es gibt verschiedene Versionen des mehr als 600 Jahre alten Liedes, in manchen stirbt der Mann, der besungen wird, in manchen ist er nur verschollen. Was bleibt, ist immer eine Frau, die vergeblich auf ihren Liebsten wartet.

Geschichtsträchtige Insel Jeju

Türkisfarbene Basins auf der Insel Jeju © Korea Tourism Organization/Park Heungsun
Die Insel Jeju zählt zu den beliebtesten Urlaubsorten in Südkorea.

Wie ein Gegenmittel gegen all diesen Weltschmerz wirkt Jeju. Alle paar Minuten verlässt ein Flugzeug Seoul mit dem Ziel dieser subtropischen Ferieninsel. Das Wetter ist ganzjährig besser als auf dem Festland, und während der Pandemie haben sich viele Hauptstädter ganz auf diese Insel zurückgezogen. Die Straßen sind perfekt ausgebaut und wenig befahren. An fast jeder Kreuzung findet man eine Sehenswürdigkeit: Kunstgalerien, Restaurants, Wasserfälle. 

Doch einer der interessantesten Orte auf der Insel wird kaum beworben: das Museum des Jeju-Aufstands. Es liegt idyllisch mitten im Wald, man könnte auch sagen versteckt. Wer das Museum betritt, traut seinen Augen kaum, denn es erzählt eine Geschichte, die in der Schule nicht gelehrt wird: Im Jahr 1948 war eine Militärdiktatur in Seoul an der Macht, die Grenze zu Nordkorea war noch frisch, und auf der kleinen Insel Jeju wurde ein Junge von einem berittenen Polizisten getötet. Ob das ein Unfall war oder nicht, wurde nie geklärt, aber es führte zu einem Aufstand, der vom Militär brutal niedergeschlagen wurde. 27.000 Tote soll es gegeben haben, Einwohner der Insel haben 140.000 gezählt. Von 400 Dörfern wurden damals 270 komplett zerstört und zum großen Teil nie wieder aufgebaut.

Einer der schönsten Orte Südkoreas: Mihwangsa-Tempel

Der Mihwangsa Tempel © Korea Tourism Organization/Kim Jiho
Mihwangsa Tempel bedeutet übersetzt „schöner gelber Tempel“.

Kaum jemand weiß in Seoul von diesem Ort und dem Aufstand. Die Geschichtsschreibung begann in Südkorea nach dem Ende der letzten Diktatur 1987 im Grunde von Neuem. Geblieben ist der große Wille der Bevölkerung, zu demonstrieren. Als Präsidentin Park Geun-Hye im Jahr 2017 ihres Amtes enthoben wurde, geschah das erst, nachdem Millionen Menschen in Seoul auf die Straße gegangen waren. Bis heute finden fast täglich Demonstrationen statt. Die Menschen wählen häufiger einen konservativen Präsidenten, aber sie sind sehr sensibel, was ihre Freiheiten angeht.

Auch die Geschichte aus dem Jahr 749 geht letztlich gut aus. Ein Mönch kommt nach Ttangkkeut, zum „Ende der Welt“. Er betet und singt, das seltsame Schiff kommt irgendwann näher, und ein wohlriechender Duft verbreitet sich. An Bord sind nur zwei Kisten, in einer ist ein Stein, der bricht auseinander, ein Rabe fliegt heraus und verwandelt sich in eine Kuh, die sich sofort auf einen langen Weg in die Berge macht. In einer Vision lernt der Mönch: Dort, wo sich diese Kuh niederlässt, soll ein Tempel gebaut werden. 

Dieser Tempel steht heute noch, er heißt Mihwangsa, wörtlich: der „schöne gelbe Tempel“. Für mich ist es einer der schönsten Orte auf der Welt. Im Tempel wohnt die koreanische Nonne Jajae, die einst während ihres Studiums in Berlin in der U-Bahn-Linie 2 die Erleuchtung fand und jetzt in Mihwangsa lebt. Sie kann in fließendem Deutsch erklären, warum sich Buddhisten 108 Mal verbeugen, weckt alle Besucher um vier Uhr morgens und verteilt mittags das vegane Essen. Aber das Beste in Mihwangsa ist der Blick von oben auf die Südspitze: Er geht ohne Übertreibung bis ans Ende der Welt und weiter.