© Arthur F. Selbach
Genuss

Der beste Kräuter-Händler von Kreta

Nirgends blühen und duften die Kräuter so intensiv wie bei Kousés auf Kreta. Sagt Yannis Giannoutsos und muss es wissen: Er sammelt Salbei, Thymian, Lorbeer und Co. seit Jahrzehnten

Datum 06.11.2020

Es ist nicht der Blick, der die Menschen nach Kousés zieht, obwohl die Aussicht von hier oben in die Messará-Ebene großartig ist. Es ist auch nicht das Licht, das sie anzieht, oder das Blau des Libyschen Meeres. Es sind die Düfte. Es ist das unverwechselbare Aroma einer während langer Sommermonate ausgetrockneten Küste, die nach den winterlichen Regen und den ersten wärmenden Sonnenstrahlen plötzlich zu neuem Leben erwacht. Es sind die intensiven Aromen aus Salbei, Thymian und wildem Bohnenkraut, aus Sträuchern, Gräsern, Blumen, einer Spur Meersalz und einer Prise getrockneten Ziegenmists.

"Nirgends blühen die Kräuter so intensiv wie bei Kousés, wo sie ein paar Wochen später wieder vertrocknet sind, wo sie all ihre Kraft und Konzentration in diese kurze Zeit ihrer Blüte investieren müssen. Deshalb duften sie so, leuchten sie so stark – damit keine Biene an ihnen vorüberfliegt", weiß Yannis Giannoutsos, der Kräuterhändler.

Auch die Schwalben sind pünktlich. So um den 20. Mai herum schwirren sie durch das kleine, unverglaste Fensterchen, das Yannis Giannoutsos für sie gelassen hat, drehen einige Begrüßungsrunden zwischen den hölzernen Regalen seines Ladens und setzen sich dann auf das Stöckchen, das er für sie über der Balkontür angebracht hat. "Als ich das alte Kafenion übernahm, die Vögel hinausscheuchte und Scheiben in die Fenster setzte, kamen sie einfach zur Tür wieder herein", erzählt er. Der Raum war ihr Zuhause. Also ließ er sie wohnen. Schließlich war auch Yannis Giannoutsos lange auf der Suche nach einer Heimat gewesen: Saloniki, Sérres, Chalkidikí, Westkreta ...

Es ist ein weiter Weg von Afrika bis nach Kousés, aber die Vögel verfehlen nie Giannoutsos Laden, der mit seinem kleinen Balkon hoch über der fruchtbaren Messará liegt, von hier geht der Blick auf den Gipfel des Psilorítis. Vielleicht folgen die Schwalben der Spur der Düfte, die in fast 300 fest verschlossenen Gläsern und Dosen schlummern, und die, kaum wird ein Deckel für den Bruchteil einer Sekunde geöffnet, den Raum erfüllen.

Wenn die Vögel aus Afrika ins schattige Reich des Kräutersammlers heimkehren, tauchen sie in eine Welt kleiner olfaktorischer Sensationen, eine Welt aus Zimt und Koriander, Thymian und Oregano, Wacholder und Lorbeer, den Düften all der heimischen Pflanzen, aber auch den schweren Aromen exotischer Gewürzmischungen, die von weit her übers Meer kommen. In dem kleinen Laden in Kousés versammelt sich der irdische Kosmos milder und herber, bitterer und süßer Kräuter.

In den Kräuterladen statt in die Apotheke

Doch nicht nur die Schwalben und die Kräuter, auch die Menschen im Laden kommen von weit her. Sie kommen aus Europa, ja sogar aus Nordamerika. Und allmählich finden selbst die Einheimischen den Weg hierher. Sogar jene Alten, die es gewohnt waren, in dem kleinen Raum mit dem Balkon über der Messará-Ebene ihren Mokka und ihren Schnaps zu trinken. Sie begannen zu nörgeln und zu brummen, als sie hörten, dass ihr Kafenion ein Teeladen werden sollte – Griechen wollen Karten spielen und über Politik reden und nicht beim Tee über Blähungen oder Kopfschmerzen lamentieren. Aber irgendwann plagte auch einen von ihnen das erste Zipperlein, und nach und nach kamen sie alle, standen da und redeten zunächst über dies und das, über Politik oder Benzinpreise, um dann zufällig auf das Magendrücken zu kommen. Oder den Cholesterinspiegel.

Yannis Giannoutsos grinst und dreht ein bisschen an den Enden seines kretischen Schnurrbartes, wenn er daran denkt, wie eines Tages ein Mütterchen hereinkam, um ihm die freudige Mitteilung zu machen, dass ihr Cholesterinspiegel gesunken sei. "Was hatte ich dir denn empfohlen?", fragte Giannoutsos. "Getrocknete Zitronen- und Orangenschalen. Und jetzt esse ich bei jeder Orange die Schale mit!", erklärte sie begeistert.

Nun steht der Tee- und Kräuterhändler in dem Ruf, etwas von der Sache mit den Kräutern zu verstehen. Immer wieder kommen die Einheimischen in seinen Laden der Wohlgerüche, staunen über die vielen Gläser und erzählen von ihren kleinen Leiden. "Ich bin kein Arzt", sagt er dann, "ihr müsst in die Apotheke gehen!" Aber die nächste Apotheke ist weit. Einen Arzt gibt es auch nicht mehr in Kousés. Und außerdem gibt Giannoutsos auch gern etwas von seinem Wissen preis. Yannis Giannoutsos erzählt mit Vorliebe.

Von der Zistrose zum Beispiel, die ganze Berghänge Kretas überzieht, an der seit Jahrhunderten die Ziegenherden knabbern und die kaum je ein Mensch beachtet hat. Nur die Popen wussten das aus dem Harz der Pflanze gewonnene "Ladanum" zu schätzen, sie füllten damit ihre Räucherfässchen. Giannoutsos beliefert heute selbst Kunden aus Ägypten hin und wieder mit dem klebrigen Harz des Cistus incanus ssp. creticus.

Für das unscheinbare Sträuchlein interessierten sich bis vor Kurzem nur die Bienen und eine Ärztin aus der Schweiz, aber die letzte Grippewelle verhalf der heilenden Zistrose schlagartig zu weltweiter Berühmtheit, Zeitungen und Fernsehsender zeigten den Strauch. Seitdem dampft auf dem Balkon, hoch über der fruchtbaren Messará-Ebene, hin und wieder eine Tasse frisch gebrühter Zistrosentee.

Auch vom berühmten Diktamos muss Giannoutsos oft erzählen und von den vielen Namen des Wunderkrautes, das je nach seiner kretischen Region mal stomatochorto, "Mundkraut", heißt, weil es gegen Mundgeruch helfen soll; mal stamatochorto, "Stillkraut", weil es das Blut stillt; und auch stomachochorto, "Magenkraut", weil es natürlich auch gegen Bauchweh hilft. Schon Hippokrates und Aristoteles bewunderten die Heilkraft des in den Bergen Kretas heimischen Origanum dictamnus.

Nur gegen die männliche Lendenschwäche scheint auch dieses Kraut nicht gewachsen zu sein. Aber weil es so selten und so schwer zu bekommen ist, erzählt Yannis und schmunzelt dabei, weil diese nackten Gipfel Kretas, auf denen das Wunderkraut wächst, viel Schweiß von ihren Eroberern fordern, nennt man den Diktamos auf Kreta bis heute auch erondas, das "Liebeskraut".

Das milde Salz der Westküste ist ein Bestseller

Er erzählt auch von der Heilkraft des griechischen Bergtees, von den Kretern malotira, lateinisch Sideritis syriaca, genannt. Oder vom silbrig schimmernden Salbei, der in jeder kretischen Schlucht steht, der auch nach zwei Jahren noch so stark duftet, als wäre er eben erst gepflückt worden, und von dem ein altes Sprichwort handelt: "Was, du bist krank? Hast du denn keinen Salbei im Garten?" Kein Kraut, zu dem Yannis Giannoutsos nicht eine Geschichte, nicht auch ein Sprüchlein einfiele.

Manchmal spricht er auch von sich selbst. Von jenen Jahren, als er mit Frau und Kindern noch in Livádia, im menschenleeren Westen Kretas wohnte, wo Yannis das Salz sammelte, das sich in den Mulden des felsigen Küstenstreifens ansammelte. Noch immer bevorzugt Yannis das milde Salz der Westküste, wenn er sein mit Zitronenschalen aromatisiertes Zitronensalz herstellt, das längst so etwas wie ein Bestseller geworden ist. In Thessaloníkis Altstadt entdeckte er den Laden von Kostas Panajotidis. "Balsamo" war sein Name, "ein magischer Ort" mitten in der lauten Stadt. "Diese geheimnisvolle Stille zwischen den Gläsern und Dosen voller Kräuter ..."

Yannis erzählt von den alten Kräuterweiblein, den schwarz gekleideten kretischen Witwen, die über die Berge zogen und Kräuter sammelten, um ihr bescheidenes Einkommen mit ein paar zusätzlichen Drachmen aufzustocken, und die stundenlang geduldig mit ihren Pappkartons vor den Markthallen saßen und kleine Bündel aus Zwiebeln, Minze, Bergtee und Küchenkräutern wie Dill, Lorbeer oder frischen, betörenden Thymian verkauften.

Manchmal erzählt Yannis auch von seinem Vater, der mit einer offenen Wunde aus dem Krieg heimkehrte, und dem eine Zigeunerin aus Mitleid die Rezeptur einer Salbe verriet. "Mische Bienenwachs, Retsina und Öl." Die Wunde schloss sich, und die Creme wurde zum Hausmittel der Familie. "Damit sind wir aufgewachsen, egal, ob es Schürfwunden, Mückenstiche oder Bauchschmerzen waren – die Salbe der Zigeunerin hat uns immer gerettet." Auch Yannis' Kinder wachsen mit der alten Rezeptur auf. Nur, dass Yannis inzwischen das Olivenöl durch sein Johanniskrautöl ersetzt hat.

Also war es letztendlich nicht jene namenlose Zigeunerin, die das alte Kafenion von Kousés in einen Kräuterladen verwandelte? Es scheint, als bewahrten die Gläser mit den zarten, hellgrünen Stengeln des Dills, mit den winzigen Kügelchen des Mohns, den anthropomorphen Gestalten der Ingwerwurzeln, den graugrünen Blättern der Brennnessel, den pelzigen, dicklichen Stängeln des griechischen Bergtees und den kleinen Sonnen der Kamille den uralten Geruch dieser Insel. Und als wären auch die Reisenden, die Giannoutsos' Kräuterparadies betreten, auf der Suche nach diesem Geruch. Denn wenn sie, wieder zurück in Düsseldorf, Berlin oder Rom, eines dieser kleinen Säckchen aus Kousés öffnen, dann strömt ihnen der ganze duftende Geist dieser Insel entgegen.

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