© Falk Johnke
Städtereisen

Leipzig: Die Stadt der Kreativfabriken

Wo einst die Schlöte qualmten, haben heute Künstler ihre Ateliers. Autorin Pia Volk führt ein Wochenende lang durch die kreativsten und grünsten Quartiere von Leipzig.

FREITAG

© Isabela Pacini
Autorin Pia Volk ist immer wieder begeistert davon, wie kreativ ihre Heimatstadt Leipzig ihr industrielles Erbe nutzt.

Leipzigs Bahnhof ist das perfekte Entrée für ein Wochenende in dieser Stadt. Mit seiner fast 300 Meter langen Halle aus massivem hellen Stein ist er ein luftiges, lichtdurchflutetes Erbstück aus der Zeit, als Leipzigs Wohlstand geradezu explodierte und die ohnehin gut gestellte Messe- und Buchhandelsstadt ab Ende des 19. Jahrhunderts zum wichtigen Industriestandort wurde. 1915 wurde der Bahnhof eröffnet, damals lebten in Leipzig etwa so viele Menschen wie heute: zwischen 550000 und 600000. Die Einwohnerzahl hatte sich innerhalb von 50 Jahren fast verfünffacht, auch weil umliegende Dörfer eingemeindet wurden.

Dort entstanden Industrieanlagen, während man im Zentrum die Einnahmen aus den Fabriken zu pompösen Einkaufszentren wie der Mädlerpassage oder mondänen Kaffeehäusern verbaute. Lassen wir aber Leipzigs schmuckes Zentrum an diesem Wochenende einmal beiseite und werfen einen Blick in die einstigen Industriegebäude. Was nämlich damals der wirtschaftliche Motor der Stadt war, das ist heute ihr kreativer Pulsgeber. Die alten Fabriken vor allem im Westen der Stadt, in Plagwitz, Lindenau und Schleußig, wurden nach der Wende von Künstlern entdeckt. Hier finden sie bis heute Raum für Ideen.

© Pieter-Pan Rupprecht
Das »Kaiserbad« ist Lindenaus In-Restaurant und liegt in einer früheren Eisengießerei. Heute ist das Westwerk der Treffpunkt im Kiez.

Im Ex-Heizwerk Kunstkraftwerk etwa sind aufwendige Multimedia-Installationen zu sehen, im Tapetenwerk gibt’s neben Ateliers auch Werkstätten, in denen etwa Longboards hergestellt werden. Im Westwerk, früher eine Eisengießerei, ist heute der wohl ungewöhnlichste Supermarkt der Stadt untergebracht: Vor dem Konsum ist eine Tischtennisplatte aufgebaut, und an der Wand stehen mit Kreide die wichtigsten Termine hier im Kiez. Unser Tipp: Stärken Sie sich im Westwerk im Restaurant »Kaiserbad« mit Salat oder Pasta, Schnitzel oder Burger, auf jeden Fall aber mit hausgemachter Basilikum-Gurken-Limonade. Und bummeln Sie dann die Karl-Heine-Straße entlang zum »Felsenkeller«. Anfang des 20. Jahrhunderts hat hier Rosa Luxemburg die Massen begeistert, jetzt stehen in dem Biergarten unterschiedlichste Entertainer auf der Bühne.

SAMSTAG

© Peter Hirth
Sightseeing per Kanu auf dem Karl-Heine-Kanal. Der wurde – wie viele Fabriken am Ufer – im 19. Jahrhundert für die boomende Industriestadt angelegt.

Durch Leipzig sollte man spazieren, radeln und paddeln, die Stadt ist gespickt mit Parks und Schrebergärten, Flüssen und Kanälen. Fünf Wasserläufe münden auf dem Stadtgebiet ineinander, zusammen mit den Kanälen sind das rund 150 Kilometer Wasserwege. Darunter ist auch ein besonderes Erbstück der Leipziger Industrie-Ära: der Karl-Heine-Kanal. Benannt ist er nach seinem Initiator, der im 19. Jahrhundert Land im Dorf Plagwitz kaufte und dort das erste auf dem Reißbrett entworfene Industriegebiet Deutschlands plante. Teil seiner Vision war ein Kanal, der Leipzig mit der Nordsee verbinden sollte. Soweit hat er es nicht geschafft – der Karl-Heine-Kanal führt heute knapp drei Kilometer durch Leipzigs Westen und mündet an den Buntgarnwerken in die Weiße Elster.

Am besten beginnen Sie Ihre Tour morgens mit einem deftigen Frühstück im Mørtelwerk, am westlichen Ende des Kanals. Es gehörte der Westend-Baugesellschaft AG, die auch den Karl-Heine-Kanal mitbaute, auf den man von hier aus direkt schaut. Nebenan kann man sich Kanus leihen und stadteinwärts paddeln. 15 Brücken passiert man unterwegs, dazu Klinkerhäuser und Parks oder die Philippuskirche, vor der oft Menschen auf den Stufen am Wasser sitzen. Und natürlich, wie könnte es hier im Westen anders sein: die Fabriken. Etwa das Stelzenhaus, Ende der 1930er als Wellblechfabrik gebaut; später arbeitete man dort der Rüstungsindustrie zu. Heute beherbergt es Ateliers und Wohnungen, natürlich mit eigener Bootsanlegestelle.

Nach dem Ausflug auf dem Wasser würde ich aufs Rad steigen, um jetzt endlich die bekannteste der früheren Fabriken zu erkunden: die Baumwollspinnerei. Anfang des 20. Jahrhunderts war sie die größte Baumwollspinnerei in Kontinentaleuropa; 16 Gebäude und vier Hallen sind auf dem sechs Hektar messenden Areal erhalten. Eine der Galerien hier hat immer offen, vielleicht gewährt gar einer der Künstler Einblicke in sein Atelier. Und danach gibt’s im leicht verwilderten Garten des Café »Versorger« eine kleine Stärkung.

© Isabela Pacini
Schön shoppen: Auf dem Gelände der Feinkost – einst Brauerei, dann Volkseigener Betrieb – ist heute Platz für kleine, bunte Läden wie Mrs. Hippie.

Ein besonders schönes Beispiel für Leipzigs Industriekultur findet sich auch im Süden der Stadt: die Feinkost. Das Gebäudeensemble aus rotem Backstein wurde einst vor den Toren Leipzigs als Brauerei errichtet, zu DDR-Zeiten nutzte man es überwiegend als Konservenfabrik. Nach der Auflösung der VEB (Volkseigener Betrieb) Feinkost, haben sich hier Menschen eingenistet, um ihre Träume zu verwirklichen: Es wird genäht, getischlert, getöpfert, gelesen. Je nach Tag und Zeit steht man auf einem Flohmarkt, Bauernmarkt, mitten im Kindertheater oder sitzt im Kino. Am Tag des Denkmals dürfen Besucher sogar durch das Kellerlabyrinth streifen.

Die Feinkost liegt übrigens direkt an der Karli, wie wir Leipziger liebevoll die Konsum- und Kneipenmeile Karl-Liebknecht-Straße ist eine der wenigen, die sie noch braut. Beim Absacken lässt sich herrlich darüber nachdenken, wie schön die Industrie in Leipzig der Lebenskunst den Weg geebnet hat.

SONNTAG

Am Sonntag geht es dahin, wo Leipzigs einstige Kohletagebaue zu rund einem Dutzend Seen geflutet wurden. Eine halbe Stunde mit dem Rad in Richtung Südwesten liegt einer von ihnen, der Kulkwitzer See. Der »Kulki«, bereits Ende der 1960er in ein Erholungsgebiet umgewandelt, lockt Menschen aus ganz Deutschland zum Tauchen an – mit seinem klaren Wasser und auf dem Grund einem untergegangenen Wald, einem versunkenen Schiff und einer alten Cessna. Auch schön: der Störmthaler See mit einer Konstruktion in der Mitte, die der Spitze eines Kirchturms ähnelt. Die Installation »Vineta« erinnert an das Dorf, das es an dieser Stelle vor dem Tagebau gab.

Wer Leipzig im Auto verlässt, über die A38, der passiert hier im Süden zwei letzte Erinnerungsstücke an die Industrievergangenheit: Die etwa 50 Meter hohen Maschinen, Schaufelradbagger 1547 und Absetzer 1115, die bis Ende der 1990er halfen, hier Kohle zu fördern. Heute sind sie Teil des Bergbau-Technik-Parks. Und eine weitere Erinnerung an die Industriegeschichte, die Leipzig geprägt hat.

Die besten Tipps für Leipzig

© Jana Gunstheimer
Meisterzimmer – so heißen die vier Studios in der Baumwollspinnerei. Nebenan haben Kunststars wie Neo Rauch ihre Ateliers.

ÜBER NACHT

Zwei äußerst verschiedene Varianten, sich Leipzigs Industriekultur zu erwohnen: Auf dem Gelände der Baumwollspinnerei werden vier Meisterzimmer vermietet (42 bis 119 Quadratmeter). Und am Störmthaler See gibt’s im Lagovida Ferienresort Häuser, die wie Hobbithöhlen in die Dünen gebaut wurden oder eine Art Strandkorb-Bett. 

www.meisterzimmer.de, www.lagovida.de

ESSEN UND TRINKEN

Stärken Sie sich vor einer Kanutour über den Karl-Heine-Kanal im »Mørtelwerk«: Wo einst Mörtel hergestellt wurde, genießt man heute Flammkuchen, Spinatknödel und Kanalblick. Herrlich satt wird man auch beim Bummel über die beliebte Karl-Liebknecht-Straße im Süden Leipzigs: Beim »Schnellbüffet Süd« erinnert das Ambiente an eine Kantine zu DDR Zeiten, das Angebot ebenso – Jägerschnitzel, Soljanka und falscher Hase. Im »Café Maître« ist es schwer zu entscheiden, ob man sich nachmittags am Kuchen laben soll oder besser bis abends wartet, um dort das Boeuf Bourguignon zu genießen. Oder beides? 

www.moertelwerk.de, www.cafe-maitre.de

© Luca Migliore/Bridgeman Images
Van Gogh-Installation im einstigen Heizwerk: Das Kunstkraftwerk zeigt Multimedia-Installationen.

ERLEBEN

Vor allem in den westlichen Vierteln Plagwitz und Lindenau ballen sich die Kreativ- und Kunsthubs der Stadt. Allen voran die Baumwollspinnerei: Der Besuch lohnt vor allem zu den Frühjahrs- und Herbstrundgängen, wenn ein Gros der Galerien und Ateliers geöffnet sind. Ebenfalls sehenswert sind das Westwerk und das Kunstkraftwerk – auf den über neun Meter hohen Wänden des einstigen Gaswerks sind heute Videoprojektionen zu sehen. Lohnenswert im Süden der Stadt: die Feinkost, einst Brauerei, dann Konservenfabrik und heute buntes Areal für Modeläden, Werkstätten, Flohmarkt und Sommerkino bzw. -theater. Etwas außerhalb zeugt der Bergbau-Technik-Park vom einstigen Kohleabbau. Und wer noch etwas weiter fährt, kann in Zwickau die Sächsische Landesausstellung »Boom. 500 Jahre Industriekultur in Sachsen« besuchen. 

www.spinnerei.de

www.westwerk-leipzig.de

www.kunstkraftwerk-leipzig.com

www.feinkostgenossenschaft.de

www.bergbau-technik-park.de

www.boom-sachsen.de

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