Südtirol Urlaub auf dem Bergbauernhof
Blutorangenrot rollt die Abendsonne über die Ultener Berge. Ein Vogelschwarm kreuzt den Himmel. Der Herbstwald glüht. Es ist mein erster Abend in Südtirol und der perfekte Moment für ein Foto. Oder ein Feierabendbier. Doch für beides habe ich gerade keine Zeit, denn vor mir türmt sich ein Haufen Mist. Der sollte längst einen Meter weiter unten liegen, in der Jauchegrube des Tumpfhofs im oberen Ultental südwestlich von Meran. "Voll einfach" sei das, hatte mir Jonas, der elfjährige Bauernsohn, versichert und seine Schubkarre schwungvoll über der Grube entleert. Ich schaffte es kaum, meine Karre hochzustemmen, obwohl sie nur halb voll war. Dann kippte sie um. Ich habe nun mal weder Training noch Übung, als Magd auf Zeit bin ich nur für drei Tage hier auf dem Bergbauernhof von Jonas und seiner Familie.
Der Südtiroler Verein "Freiwillige Arbeitseinsätze", der seit 1997 Bergbauern zwischen Vinschgau und Pustertal mit Ehrenamtlichen unterstützt, hat mich hierher vermittelt. Gegen Kost und Logis werde ich in Haus und Stall zur Hand gehen, bei der Heuernte und beim Holzfällen helfen – kurzum: bei allem, was Anfang Oktober auf einem Bergbauernhof in 1600 Meter Höhe anfällt. Werbeleuten fallen zu dem Leben, in das ich reinschnuppern werde, solche Bilder ein: Eine Frau mit Kopftuch und Arbeitshose liegt neben einer Kuh auf einer Almwiese und lächelt so tiefenentspannt wie nach zwei Wochen Yoga-Workshop. Ich möchte herausfinden, ob an diesem Klischee etwas dran ist – auch wenn ich weiß, dass selbst im 21. Jahrhundert das Bergbauernleben hart ist.
Die Steilhänge am Tumpfhof machen den Einsatz von Maschinen fast unmöglich
So weit oben machen Steilhänge den Einsatz von Maschinen fast unmöglich, unwegsames Gelände erschwert den Transport von Milch, Holz und Fleisch. Viele Bergbauern produzieren zu wenig, um international wettbewerbsfähig zu sein, und bewirtschaften ihren Hof nur noch als Nebenerwerb.
Nicht so meine Gastfamilie. Von dem, was 15 Kühe, 15 Jungrinder, sechs Haflinger, zwei Schweine, zwölf Hühner, 14 Hektar Wiesen und ein 21 Hektar großer Bergwald abwerfen, leben elf Menschen: Mutter Ilse, 40, Vater Heinrich, 52, und ihre fünf Kinder im Alter von neun bis 22 Jahren. Dazu die
Eltern von Ilse: Opa Rudolf und Oma Walburga. Außerdem Tante Lies und Onkel Charlie, beide um die 80 und wegen einer Rachitiserkrankung im Kindesalter geistig leicht behindert.
Was würde Heinrich wohl tun, frage ich mich nun vor meiner umgekippten Schubkarre, wenn ihm eine Ladung Mist vor die Füße fiele? Es dauert keine Minute, bis ich die Karre wieder aufgerichtet und eine Schaufel aus dem Stall geholt habe. Mist in die Grube, Karre zurück in den Stall, nächste
Ladung, nächster Versuch! Vielleicht ist das ja schon der erste Teil der Bergbauern-Glücksformel: Zum Rumjammern ist keine Zeit.
Das Wetter bestimmt auf dem Bergbauernhof den Rhythmus
Hier ist das Wetter der Chef. Und das schert sich weder um Selbstmitleid noch um die Einhaltung tariflich geregelter Arbeitszeiten. "Leute, der Schnee kommt!", verkündet Ilse auf der Fahrt zur Sonntagsmesse in St. Nikolaus. "Und das Heu ist noch nicht im Stadl. Nach der Kirche müssen wir alle auf die Bergwiese!" Die macht ihrem Namen alle Ehre: steil wie ein mittelschwerer Skihang, dabei idyllisch wie in einem Heidi-Film.
Herbstlich gescheckt ragen die Hänge der Hohen Wart vor uns in den Himmel, die Luft schmeckt so frisch wie das Minzwasser, das Oma Walburga eben noch ausgeschenkt hat. Dann drückt mir Ilse einen Rechen in die Hand. Wieder und wieder verharken sich die Zacken in der Wiese. Das Heu scheint am Boden festzukleben, ich selbst rutsche immer wieder gen Tal. Mein Heidi-Traum wird zur Slapstick-Nummer. Wie mühelos wirken dagegen die Rechenschwünge, mit denen Ilse ihre Reihe abarbeitet! Und wie nutzlos fühle ich mich! "Ach geh!", sagt Ilse und lacht. "Da hatten wir schon ganz andere hier oben!" Sicher sei es toll, wenn ein Helfer so viel wegschaffen kann wie ein echter Bauer. "Eigentlich brauchen wir aber vor allem Leute, die bereit sind, auch mal im Haushalt zu helfen oder mit den Kindern Hausaufgaben zu machen." Denn dafür bleibt Ilse und Heinrich oft kaum Zeit. Neben dem Tumpfhof, auf dem die Familie heute wohnt, bewirtschaften die beiden auch noch den Hof von Heinrichs Eltern im Nachbardorf. Den übernahmen sie gleich nach der Hochzeit.
Als ich später im Bett liege und dem Bimmeln der Kuhglocken lausche, das von der Jungviehkoppel herüberweht, hänge ich noch – so lange die Müdigkeit es zulässt – meinen Gedanken nach. Ein Leben wie Ilse? Die Kulisse, in der sie lebt, ist ein Traum, kein Heimatfilmregisseur könnte einen lauschigeren Platz erdenken als das 500 Jahre alte Bauernhaus aus verwittertem Lärchenholz, in dem die Großeltern noch heute leben. Und kein Bergfan könnte sich ein spektakuläreres Panorama vorstellen als den Blick vom Stall auf das wildromantische Ultental. Doch würde ich mich nicht eingesperrt fühlen im ewigen Trott aus Stallausmisten und Heuernten? Und wäre mir dieses Tal trotz seiner Schönheit nicht doch bald zu eng?
Arbeit auf dem Bergbauernhof ist für einige Gäste Erfüllung
Am nächsten Morgen sind meine Arme so schwer, als zöge ich noch immer den Rechen hinter mir her. Zum Glück schickt mich Ilse heute ins Haus. Die Breitenbergers sind nicht nur Helden der Arbeit, sondern auch eine ganz normale Familie mit einem Fernsehsofa, hinter dem sich Kindersocken und Erdnussflips verstecken, und mit Kleidungsstücken, die nicht nur Mistspritzer, sondern auch Nutellaflecken abkriegen. Zusammen mit Gabi, einer 51jährigen Büroangestellten aus München, die schon eine Woche länger als ich auf dem Tumpfhof mithilft, putze ich einmal durch. Gabi schwärmt von den Vorteilen des Landlebens, ihr gefällt der Einsatz so gut, dass sie überlegt, dauerhaft die Stadt zu verlassen. "Diese Luft, diese Natur! Und das Beste: Ich habe endlich das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun!" Logisch, denke ich, wer anderen hilft, sieht in seinem Handeln ja immer Sinn.
Dann mein erster Einsatz als Holzknecht. Als Ilse, Heinrich, Rudolf, Charlie und ich eine 20 Meter lange Fichte aus dem benachbarten Wald endlich bis auf den letzten Zapfen in Brennholz und Stallstreu verwandelt haben, bin ich so stolz, als hätte ich den ganzen Hof vor dem Erfrieren gerettet. Langsam kann ich es nachvollziehen, Gabis Gefühl von Sinnhaftigkeit. Dennoch freue ich mich immer besonders auf die Pausen. Nach dem Frühstück gibt es Punkt zwölf in der Bauernstube der Oma Gulasch vom eigenen Rind, Kraut aus dem Garten und zum Nachtisch Wuchteln, mit Marillenmarmelade gefüllte Teigtaschen. Um fünf Uhr folgt die Marende, die traditionelle Südtiroler Brotzeit mit selbst geräuchertem Speck und Käse von der Alm des Bruders. Abends um acht stärkt man sich noch einmal mit Kartoffeln und Milch. Bei diesen Abendessen, wenn auch die Kinder mit am Tisch sitzen, wird viel geredet und gefrotzelt. Vor allem Heinrich, trotz zwölf Stunden Maloche noch quirlig wie ein Duracell-Häschen, sprudelt über vor Witzen, gern auch auf eigene Kosten, dann brüllt die ganze Tafel. Ilse verfolgt den Trubel oft nur ruhig lächelnd. Und ein knappes "Hey!" von ihr reicht aus, um einen Streit der Kinder zu beenden.
Die Zeiten als Selbstversorger haben die Familie geprägt
Bis in die 1970er Jahre waren die meisten Bergbauern Selbstversorger. Auf den Tisch kam, was der Hof hergab: Kartoffeln, Eier, Speck, vor allem aber "Muas", ein Brei aus Maismehl und Milch, der ein bisschen schmeckt wie flüssige Polenta. "Zweimal pro Tag haben wir das gegessen", erzählt mir Oma Walburga, als wir gemeinsam Muas kochen, in einer Riesenpfanne, aus der später die ganze Familie löffelt. Auch sonst sei das Leben oft karg gewesen. Strom gab es erst ab den siebziger Jahren. Ein Telefon in den Neunzigern. Bis dahin mussten die Breitenbergers für jedes Ferngespräch zum nächsten Gasthof laufen. "Ich hoffe, du weißt, was du tust", sagte die Mutter, selbst Bäuerin, als Walburga 1962 den "Tumpfer Rudolf" heiratete. Auf dem fremden Hof versorgte sie ihre verwitwete Schwiegermutter und drei behinderte Verwandte. "Wie ich das geschafft habe", sagt Walburga, "weiß ich auch nicht mehr." Neun Kinder brachte sie zur Welt, eines davon mit der Nachbarin als Hebamme, weil die Zeit nicht reichte, um nach Bozen ins Krankenhaus zu fahren. Weiter als bis Bozen ist sie auch ihr Lebtag nicht gekommen. Hat sie sich nie nach der Welt jenseits des Tals gesehnt? Walburga lächelt und schüttelt den Kopf. "Ich kenne es nicht anders. Da vermisst man nichts."
Können Grenzen auch glücklich machen? Sie geben zumindest Halt. Und schützten die Generation von Rudolf und Walburga vor jenen rasanten Veränderungen, mit denen ihre Kinder jetzt klarkommen müssen. Der Druck, unter dem die Bergbauern durch die zunehmende Technisierung der Landwirtschaft stünden, sei ein Riesenproblem, sagt Heinrich. "Der Stress macht uns noch alle kaputt."
Es ist mein letzter Abend. Heinrich und ich fahren auf die nahe gelegene Kühbergalm. Wir wollen die Haflinger von dort in ihr Winterlager auf dem Hof bringen. Heute Nacht soll es nun endgültig schneien. Dass Heinrich gerade jetzt auf den Wandel des Bergbauernlebens zu sprechen kommt, ist kein Zufall, denn die Haflinger sind ein Symbol dafür. In seiner Kindheit, erklärt mir Heinrich, hätten diese Pferde noch die Heuwagen gezogen. Seit den Siebzigern hätten das die Traktoren übernommen. Auch er selbst halte seine Haflingerherde eigentlich nur noch zu Zuchtzwecken. "Das Verrückte ist aber", ruft er über das Knirschen des Schotters unter den Reifen: "Wir haben durch die Maschinen gar nichts gewonnen! Strom und Sprit werden ständig teurer. Doch der Milchpreis stagniert. Ein Teufelskreis! Also versuchst du, in noch kürzerer Zeit noch mehr zu produzieren. Doch schau dich um... " Er zeigt auf die Steilhänge vor dem Fenster. "Bei dem Gelände kommen wir nie auf die Mengen, die die Bauern im Tal schaffen. Wenn du dann siehst, dass unsere Hoteliers ihren Gästen lieber Supermarkt-Milch servieren als einheimische Milch... " Heinrich haut aufs Lenkrad. "Da werd’ ich echt sauer!"
Wir sind auf der Alm angekommen, doch von den Pferden ist nichts zu sehen. "Die ahnen wohl, dass sie runter müssen", witzelt Heinrich, und seine Stimme klingt dabei wieder sanft. Wir stapfen durchs Gras, pfeifen und rufen. Dann sehen wir sie: sechs Stuten und vier Fohlen, zerrupft von den ersten Herbststürmen, aber heil und gesund.
Nur noch ein Lichtstreifen flimmert über den Gipfeln, als wir losmarschieren, jeder von uns eine alte Stute am Halfter neben sich. Die Herde scheint den Weg zu kennen. Leise schnauben die Tiere, ruhig wippen die Mähnen, sie duften nach Kräutern, Erde und Harz. Fast kommt es mir vor, als wandere mit mir nicht eine Herde Haflinger ins Tal, sondern der Sommer selbst. Ich kann jetzt verstehen, warum Heinrich und Ilse ihr Leben mit niemandem tauschen wollten.

So wie rund 300 Betriebe in Südtirol freuen sich die Bewohner des Bergbauernhofs über Unterstützung bei der Arbeit.

Der Bozener "Verein Freiwillige Arbeitseinsätze" sucht die Höfe, auf denen man gegen Kost und Logis mithelfen kann, nach strengen Kriterien aus.

Die ehrenamtlichen Helfer werden überwiegend während der Heuernte im Sommer gebraucht, aber auch zu anderen Jahreszeiten freut man sich über helfende Hände.

Viele Familien auf den Bergbauernhöfen sind streng gläubig und gehen regelmäßig in die Kirche.

Harte Arbeit statt Sitzen im Büro? Unsere Autorin hat das Leben als Magd auf Zeit ausprobiert.

Auf dem Tumpfhof sind Haflinger als Zugpferde längst passé, doch die Milch der Stuten ist gefragt. Sie soll gegen Neurodermitis helfen.

Unsere Autorin lernte während ihres Freiwilligeneinsatzes auf dem Tumpfhof besonders ihre Pausen zu genießen.