Israel Pilgern auf dem Jesus Trail
Ich blicke nach unten und schaue meinen Füßen beim Laufen zu. Sie bewegen sich wie von alleine, unaufhörlich zieht der Weg unter ihnen entlang - Steine, Lehm, Grashalme und die kleinen Ansammlungen von Raupen, die es im Frühjahr überall auf den Wiesen Galiläas gibt. Ich beobachte nur. Versunken im Laufen, in einem meditativen Wandern, das die Welt um mich herum ausblendet. Nur der Weg und ich. Als die Sonne durch die Wolken bricht, blicke ich auf. Strahlen fallen auf die Hügel von Arbel und dahinter fängt der See Genezareth an zu funkeln.
Kapernaum, am nordwestlichen Ufer des Sees, ist das Ziel unserer Wanderung. Dort soll Petrus nach den biblischen Erzählungen gelebt haben und Jesus vor rund 2000 Jahren ein und aus gegangen sein. Seit vier Jahren liegt hier das offizielle Ende des Jesus Trails, einem 65 Kilometer langen Wanderweg durch die Hügel Galiläas.
Vor vier Tagen waren wir in Nazareth gestartet. Offizieller Ausgangspunkt des Jesus Trails ist die Verkündigungskirche, die sich über der Höhle erhebt, in der Maria einst vom Engel Gabriel über ihre unerwartete Schwangerschaft mit dem Sohn Gottes informiert worden war. So heißt es. Von dort aus windet sich der Weg durch die engen Gassen der Altstadt, vorbei an rufenden Händlern und Marktständen, und vorbei am Fauzi Azar Inn. Dieses Hostel in einem Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert mit sechs Meter hohen, bemalten Decken, gemütlichen Zimmern und großen Terrassen ist der inoffizielle Ausgangspunkt des Jesus Trails. Gegründet wurde es 2005 von Maoz Inon, einem israelischen Unternehmer. Mitten in einer der größten arabischen Städte Israels war der junge Israeli zunächst ein Fremdkörper und wurde misstrauisch beäugt. Mittlerweile führt die Enkelin Fauzi Azars das Gasthaus gemeinsam mit Inon und heißt besonders Jesus Trail-Wanderer willkommen.
Wenn der Muezzin zum Gebet ruft und die Glocken der Kirchen läuten, ist die Stimmung genau richtig, sich durch die engen Gassen der Altstadt auf den Jesus Trail zu machen. 406 Stufen führen aus dem Zentrum heraus, und bald stehen wir auf dem höchsten Punkt der Stadt mit einem ersten gigantischen Ausblick auf die Wiesen und Felder Galiläas. Vorbei an Schafherden, einem wachsamen Bullen, blühenden Wiesen und leider auch den Müllhalden Nazareths wandern wir weiter nach Cana. Hier soll Jesus auf einer Hochzeitsfeier sein erstes Wunder vollbracht und Wasser in Wein verwandelt haben. Dass es in Cana vor Läden mit Hochzeitswein nur so wimmelt, wundert daher nicht. Und ein Ladenschild, das Wein und Mineralwasser gleichzeitig anpreist, bringt uns da schon zum Schmunzeln. Im Haus der Bellans endet die erste Etappe. Wir werden im Wohnzimmer der Familie empfangen, die Gästezimmer liegen dahinter. Am Kühlschrank neben dem Esszimmer hängen Fotos der Kinder und Enkel, es fühlt sich fast an, wie ein Verwandtenbesuch.
Vier Nächte, vier Gastgeber, vier Religionen: Wo sonst ist das möglich?


Und dann erzählt Sarah ihre Geschichte. Ihre Mutter entkam dem Tod in Auschwitz, der Vater überlebte ein Arbeitslager. Vom Rest der Familie blieb kaum jemand übrig. Im neu gegründeten Israel baute sich die kleine Familie ein neues Leben auf. Jetzt bekommt das Familienbild mit Kindern und Enkeln an der Wand des Restaurants eine neue Bedeutung. "Ich hatte nie eine große Familie, jetzt habe ich sie", schließt Sara ihre Geschichte und deutet auf das Bild der lachende Großfamilie. Das gemütliche Gasthaus, die Enkelin, die nach ihrem Wehrdienst in der Küche aushilft, die fröhlichen Gäste im sonnendurchfluteten Restaurant, es wirkt wie das Happy End ihrer verstörenden Geschichte. Es ist eine der Geschichten entlang des Weges, die die Vergangenheit des Heiligen Landes und seiner Völker lebendig werden lassen. Beider Völker.


Info:
Der Weg ist gut markiert und auf www.jesustrail.com gibt es ausreichend englischsprachige Informationen, eine abgespeckte deutsche Version unter http://de.jesustrail.com, um den Weg auf eigene Faust zu gehen. Empfehlenswert ist auch der, leider englischsprachige, Führer "Hiking the Jesus Trail", der neben einer anschaulichen Beschreibung der Route und Sehenswürdigkeiten entlang des Weges auch Informationen zu anderen Wanderwegen in Israel und zum Reisen im Land allgemein bereithält. Kostenloses Kartenmaterial und Reiseberatung gibt es im Hotel Fauzi Azar Inn in Nazareth. Auch wer nicht dort übernachtet, ist bei der kostenlosen Stadtführung täglich um 9.15 Uhr im "Fauzi" willkommen. Hier finden sich gelegentlich Reisegefährten für den Jesus Trail. Jeden Samstag führt einer der freiwilligen Helfer des Hostels alle Interessierten kostenlos die erste Etappe auf dem Jesus Trail bis nach Cana – eine gute Gelegenheit, um völlig unkompliziert auf den Weg zu kommen, Mitreisende kennenzulernen und nette Anekdoten über den Weg und das Land zu hören.
Beste Wanderzeit: Februar bis Mai sowie Oktober bis November.